Isau, Ralf - Neschan 03
gerade berichtete?
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, verkündete Bomas geschäftsmäßig. »Es gibt viel zu besprechen.«
»Ich muss dich vorher noch über etwas aufklären. Ich glaube, unser Vater wird es nicht begrüßen, wenn du wichtige Staatsangelegenheiten ausgerechnet mit mir erörterst. Er hat mich nämlich…«
»Du brauchst mir nichts zu erklären«, unterbrach Bomas seinen Bruder mit hintergründigem Lächeln. »Ich weiß genau Bescheid, was am Hofe vor sich geht. General Targith würde staunen, wenn er wüsste, dass sein halber Geheimdienst für mich arbeitet.«
Felin schüttelte verblüfft den Kopf. »Du hast dich kein bisschen verändert, Bomas, ziehst immer noch an jedem Faden, den du zu fassen bekommst.«
»Nur so kann man die Puppen richtig tanzen lassen, mein lieber Bruder. Doch jetzt lass uns in den Park gehen und ungestört miteinander reden. Vielleicht hast du ja einige nützliche Neuigkeiten für mich, die meinem Nachrichtendienst entgangen sind. Für das, was uns in den nächsten Tagen erwartet, kommt uns jede hilfreiche Information zustatten.«
Nach Bomas’ Schilderung war die Lage katastrophal. Er beschrieb das temánahische Heer als einen riesigen schwarzgrauen Schwarm, bestehend aus Lebewesen unterschiedlichster Art und Herkunft, eine gewaltige Masse von Leibern, die über alles hinwegströmte und jeden erstickte, der sich ihr in den Weg stellte. Ein nur geringer Teil dieser Armee bestand aus menschlichen Kriegern, die weitaus größere Zahl von Kämpfern waren stumpfsinnige Geschöpfe, die anscheinend ohne Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit vorwärts stürmten; auch dann noch, wenn man ihnen einen Arm oder andere Glieder abgehackt hatte.
Die cedanischen Grenztruppen hätten heldenhaft gekämpft, aber nie wirklich eine Chance gehabt, urteilte Bomas nüchtern. Zuletzt ging es nur noch um das nackte Überleben. Während das feindliche Hauptheer sich mit unverminderter Geschwindigkeit vorwärts wälzte, waren seine Männer vollauf damit beschäftigt gewesen die Bewohner der nördlich gelegenen Provinzen zu warnen und die temánahische Vorhut in Hinterhalte zu locken, ohne dabei selbst aufgerieben zu werden. Schließlich habe man einen kleinen Vorsprung herausarbeiten können, gerade genug, um Cedanors Verteidigung zu mobilisieren.
»Was denkst du, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis Temánahs Heere vor den Toren der Stadt stehen?«, fragte Felin besorgt.
Bomas dachte nicht lange nach. »Drei Tage. Höchstens. Sie folgen der Südlichen Handelsroute und waren dicht hinter uns.«
»Wenn sie von Südwesten her anrücken, heißt das aber, dass sie die Stadt nicht sofort umzingeln können. Im Süden stehen ihnen die Berge von Zurim-Kapporeth im Weg, und um Cedanor von Norden her zu umgehen, müssen sie erst den Cedan überqueren. Ich nehme an, dass sie keine Boote mitführen. Solange wir das jenseitige Ufer verteidigen, wird es ihnen schwer fallen einfach überzusetzen.«
»Wenn du diese Armee gesehen hättest, würdest du dir darüber nicht den Kopf zerbrechen, Felin. Sie benötigen keine Schiffe, um den Strom zu überqueren. Wenn es sein muss, bauen sie einen Damm aus den Leichen ihrer eigenen Kameraden.«
Felin hatte tatsächlich Schwierigkeiten sich das volle Ausmaß der Bedrohung vorzustellen. »Können wir die Bevölkerung vorher noch aus der Stadt schaffen?«
Bomas schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Zu viele Menschen. Sie würden in Panik geraten und sich gegenseitig zu Tode trampeln. Wir müssen die Stadt mit allem verteidigen, was wir haben.«
»Cedanor besitzt einige Quellen und gefüllte Speicher. Wir könnten problemlos eine Belagerung überstehen, bis Geschan uns zu Hilfe kommt.«
Abermals schüttelte Bomas den Kopf. »Auch wenn die Macht, die Haschevet dem siebten Richter verleiht, noch so groß ist, wird uns das nichts nützen. Die Zeit, die der Stadt noch bleibt, kann nicht in Wochen oder gar Monaten gemessen werden.« Bomas blieb stehen und wandte sich Felin zu. Mit erstaunlich ruhiger Stimme sprach er das Unfassbare aus. »Die Stadt des Lichts wird in wenigen Tagen sterben, mein Bruder. Es sei denn, Yehwoh erbarmt sich ihrer, und es geschieht ein Wunder.«
Felins Wächter protestierten nur einmal, und auch das nur zaghaft. Zwar durfte er seinen Vater nicht ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis aufsuchen, aber Bomas machte den Soldaten in knappen Worten klar, wie hinderlich sich jeder weitere Widerspruch auf ihre berufliche Laufbahn auswirken würde.
Ein
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