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Isau, Ralf - Neschan 03

Titel: Isau, Ralf - Neschan 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lied der Befreiung Neschans Das
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Traum noch immer nicht vergessen. Das nächtliche Erlebnis erschien ihm wie eine Unheil verkündende Botschaft. Zur Mittagszeit sollte sich zeigen, dass seine Vorahnung ihn nicht trog.
    Er hatte gerade seine Mahlzeit eingenommen und befand sich auf dem Weg in den Palastgarten. Es war jeden Tag die gleiche Runde: Von seinem Zimmer aus ging es nach links, einen langen Flur entlang, darauf nach rechts, wo die Rampenpferde warteten, und auf dem Rücken der stämmigen Tiere hinunter in die Vorhalle des Großen Kubus. Nachdem er aus dem Sattel gesprungen war – alles immer unter guter Bewachung –, hielt er auf den Ausgang zu, durch den man auf den großen Exerzierplatz gelangte. Durch die offen stehende Tür drangen aber heute aufgeregte Stimmen in die hohe Vorhalle. Es klang wie Jubel, ein so seltener Laut in diesen Tagen, dass Felin seinen Schritt beschleunigte.
    Zahlreiche Menschen liefen auf dem Platz zusammen, die meisten von ihnen waren Soldaten. Felin sah auch Uniformen, die nicht zum Alltagsbild im Palast gehörten. Durch das Haupttor – genau auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes – strömten in großer Zahl Angehörige der kaiserlichen Grenztruppen herein. Mit ihnen trat ein Mann ein, dessen Schritt zielsicher und dessen Haltung entschlossen wirkte. Ohne Frage war er der Anführer. Felin kannte ihn sehr gut.
    Bomas, der älteste Sohn von Kaiser Zirgis, besaß eine Ausstrahlung, der sich nur wenige entziehen konnten. Bei den Frauen galt er als der begehrteste Junggeselle im ganzen Cedanischen Reich. Die männliche Bevölkerung war gespaltener Meinung: Einige lehnten ihn rigoros ab, andere verehrten ihn dafür umso glühender. Zu den Letzteren zählten fast alle Soldaten der kaiserlichen Armee. Bomas war einer der Ihren.
    Er hatte seine militärische Laufbahn schon mit sechzehn Jahren begonnen. Damals war er ungestüm und draufgängerisch gewesen. Bei mehreren abenteuerlichen Einsätzen tat er sich nicht nur als ein meisterhafter Schwertkämpfer hervor, sondern erwarb sich auch den Ruf eines Anführers, der so gegensätzliche Eigenschaften wie Unerschrockenheit, Umsicht und taktisches Geschick in sich vereinte. Jetzt, mit gerade dreißig Jahren, wagte einzig der Kaiser ihm Befehle zu erteilen. Nur böse Zungen behaupteten, Zirgis hätte Bomas zum Oberbefehlshaber der südlichen Grenztruppen ernannt, weil er den ehrgeizigen jungen Mann nicht gern in der Nähe seines Thrones wusste. Die weitaus meisten vertraten eine andere Ansicht: Mit der Brandschatzung von Darom-Maos vor vierzehn Jahren hatte eine Reihe von brutalen Überfällen aus dem benachbarten Temánah eingesetzt. Am Hof von Cedanor herrschte damals Ratlosigkeit. Niemand schien den grausamen Kämpfern des Südreiches gewachsen zu sein. Dann entschied sich Zirgis, Bomas an die Grenze zu entsenden, und was viele der alten Generäle für unmöglich erachtet hatten, gelang dem damals noch sehr jungen Truppenführer: Die temánahischen Horden erlitten empfindliche Niederlagen und zogen sich schließlich auf die andere Seite des Grenzgebirges zurück, das die Länder des Lichts von dem dunklen Reich des Südens trennte.
    Niemand zweifelte seit jenen Tagen daran, dass Bomas der nächste Kaiser auf dem »Thron des Himmels« sein würde. Er hatte die besten Aussichten: Er war Zirgis’ erstgeborener Sohn, ein Held, und das Volk liebte ihn.
    Felin und Bomas fielen sich in die Arme.
    »Ich habe dich seit vier Jahren nicht mehr gesehen«, begrüßte Felin den Bruder. »Was treibt dich gerade jetzt in die Stadt, wo man so beunruhigende Nachrichten aus dem Süden hört?«
    Bomas schob Felin von sich und musterte ihn für einen Moment aus dunklen, mandelförmigen Augen – er schlug mehr nach dem Vater als sein jüngerer Bruder. Aus der folgenden Antwort sprach die Sorge eines verantwortungsbewussten Generals. »Es steht wirklich nicht zum Besten, Felin.« Spuren von Erschöpfung waren an dem Älteren auszumachen. »Es gibt keine Grenze mehr, die wir noch verteidigen könnten. Temánah spuckte vor einem Monat eine gewaltige Armee aus, die uns seitdem vor sich her treibt. Von vierundzwanzigtausend Mann sind mir gerade noch sechstausend geblieben und wir konnten den Vormarsch der temánahischen Heere trotzdem kaum behindern.«
    »Nur sechstausend?«, wiederholte Felin fassungslos, während er gleichzeitig an den Traum der vergangenen Nacht denken musste. Der Drache, der sich anschickte Neschan zu verbrennen- war das die Armee der Finsternis, von der sein Bruder

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