Isau, Ralf - Neschan 03
verzeihen?«
Felin senkte den Blick. Er kämpfte gegen die Tränen an.
»Ich habe dich immer mit deinem Bruder verglichen…« Der Kaiser bäumte sich unter einem plötzlichen Hustenanfall auf. Weißer Schaum stand vor seinen Lippen, aber er sprach trotzdem weiter. »Ich wollte nur dein Bestes, Felin. Aber heute weiß ich, dass ich falsch an dir handelte… Du bist ein Sohn, auf den jeder Vater stolz sein kann. Vergib mir. Bitte!«
»Ja, Vater. Ja! Ich vergebe dir.« Felin hielt die Hände seines Vaters, während er Hilfe suchend zu Bomas aufsah. Doch der war nicht weniger ratlos als sein Bruder.
»Bomas!« Zirgis hustete roten Schleim. Er schien seine Umgebung nicht mehr richtig wahrzunehmen.
»Hier bin ich, Vater.«
»Du wirst ab heute Kaiser sein… Wenn die Nachrichten der Wahrheit entsprechen… wird dein Amt mit einer schweren Bürde beginnen. Ich gebe dir meinen Segen.« Zirgis’ Hand suchte nach dem schwarzen Haarschopf seines Erstgeborenen. Bomas nahm die zitternden Finger seines Vaters und legte sie sich auf den Kopf. »Sei stark wie ich, aber sei gerechter. Ich habe zu sehr nach Macht gestrebt… Du siehst, wohin das führt… Felin hat die richtige Wahl getroffen, als er sich auf die Seite Yehwohs und seines Richters stellte. Er…«
Neue Krämpfe schüttelten den Kaiser. Er schrie auf, rang nach Luft und blieb schließlich regungslos liegen. Felin und Bomas dachten schon, sein Leiden sei vorbei, aber dann hob ihr Vater noch ein letztes Mal die Lider. Ein kalter Schauer lief ihnen über den Rücken: Zirgis’ Augen wirkten plötzlich wieder klar und in seinem Gesicht lag ein sanfter, beinahe glücklicher Ausdruck.
»Ich bin froh, dass ihr beide heute zueinander gefunden habt«, flüsterte er so leise, dass nur seine Söhne es verstehen konnten. »Ich möchte, dass es immer so bleibt. Achtet einander und steht euch bei. Nur das ist es, was ich mir noch wünsche, alles andere…«
Zirgis’ Kopf sackte zur Seite. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Nie zuvor hatten Felin und Bomas den mächtigen Kaiser von Cedanor so schwach und klein erlebt wie im Augenblick seines Todes. Ihre Blicke suchten sich über den Leichnam des Vaters hinweg. Beide fanden Tränen in den Augen des anderen. In dieser Stunde waren sie wieder zu einer Familie geworden.
Kurz nachdem Zirgis sein Leben ausgehaucht hatte, erreichte der Arzt in Begleitung der Kaiserin den Saal der Rechtsprechung. Der Medikus konnte nur noch bedauernd den Kopf schütteln. Die Witwe des Kaisers brach zusammen und der Arzt musste sich nun um sie kümmern.
Die Trauer war groß, aber Bomas gab ihr wenig Raum. »Wir haben keine Zeit uns dem Kummer hinzugeben«, verkündete er entschieden, und obwohl diese Äußerung vielen zunächst gefühllos erschien, sollte sich bald herausstellen, dass sie dem Ernst der Lage Rechnung trug.
XI.
Sturm über Cedanor
Bomas hatte schon vor seiner Ankunft auf dem Palastberg Boten in alle Himmelsrichtungen ausgesandt, einerseits, um die Bevölkerung in der Umgebung zu warnen, andererseits aber auch, weil er Nahrungsmittelvorräte und Baumaterialien benötigte, Werkzeuge und Waffen, Tiere und Männer, Holz, Pech, Öl – eben alles, was der Verteidigung Cedanors nur dienen konnte. Seinen Bruder forderte er ebenfalls dazu auf, sich jeder denkbaren Unterstützung zu versichern.
Felin besaß nicht viele Freunde in Cedanor, denen er uneingeschränkt vertraute, aber die wenigen, die es gab, rief er zu sich: Sahavel, sein Lehrmeister und einer der Charosim; Baltan, gleichfalls ein Mitglied der Vierzig – Felin bestand darauf, dass er mitsamt seiner Familie auf den Festungsberg zog –; ferner Yehsir, Baltans erfahrener Karawanenführer, und natürlich Yomi mit seinem Adoptivvater Kaldek; Qorbán, sein alter Schwertmeister, beschloss den Kreis jener, deren Urteil er schätzte.
Einzig Yonathan fehlte, der jüngste in der Runde seiner Gefährten, ausgerechnet jener, den er am meisten vermisste. Felin erinnerte sich an die liebevolle Art, mit der Yonathan einst Belvin, den alten Kerkermeister, getröstet hatte. Wie wichtig wäre ihm jetzt solch ein Freund, in einem Moment, da die Trauer um den ermordeten Vater seine Gedanken lähmte!
Bomas verbarg seine Gefühle, so gut es ging. Aber Felin bemerkte trotzdem die kleinen Anzeichen, die verrieten, dass auch sein Bruder unter dem Verlust des Vaters litt. Der trotz seiner Jugend von allen geachtete Feldherr überdeckte den Schmerz mit Arbeit.
Zunächst ergänzte
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