Isau, Ralf - Neschan 03
wachsender Unruhe. »Jetzt braut sich ein echter Sturm über Cedanor zusammen«, murmelte er vor sich hin.
»Bomas kann diesem Heer nicht lange widerstehen«, rief er dem Fürsten Melin-Barodesch zu, der kurz zuvor erschienen war, um von der Lage an der nördlichen Flussseite zu berichten.
»Er wird klug genug sein sich rechtzeitig zurückzuziehen.«
»Hoffentlich.« Felins Stimme war nur ein Flüstern.
Auf der anderen Seite des Cedan focht der junge Kaiser einen für ihn ungewohnten Kampf. Er hatte am Fuße des Grenzgebirges zu Temánah Jahre damit zugebracht, marodierende Banden zu jagen und die Ausgänge der Pässe zu bewachen. Hier aber mussten seine Männer ein Landemanöver verhindern – auch wenn die Invasoren nur über völlig unzureichende Hilfsmittel für das feuchte Element verfügten.
Die viertausend Soldaten, die ihm zur Seite standen, setzten sich jeweils zur Hälfte aus seiner eigenen Grenzarmee und den Truppen der kaiserlichen Garde zusammen, die in Cedanor stationiert war. Gemeinsam gelang es ihnen die herbeischwimmenden Feinde immer wieder zurückzutreiben. Sie setzten Pfeile ein, leichte Wurfmaschinen sowie ein spezielles, pechschwarzes Öl – aus Barasadans Labor, wie sich denken lässt –, das, einmal entflammt, den Fluss mit riesigen brennenden Lachen überzog. Damit man diese Waffe einsetzen konnte, hatten sich die Boote der cedanischen Flotte auf die Stadt zurückziehen müssen.
Die Verteidigungslinien am Flussufer schienen fest gefügt, doch plötzlich trat die Wende ein. Von Westen her, aus dem grünen Reich der Sümpfe, tauchten fremde Segel auf. Bomas zweifelte keinen Moment, wem die Verstärkung galt, die da herannahte. Es gab nur ein Land auf Neschan, das seine Flotte mit nachtschwarzem Segeltuch ausstattete: Temánah.
Auch die Angreifer bemerkten die herbeifliegenden Schiffe. Ihr Triumphgeheul und ihre Begeisterung ließen das Wasser aufschäumen; einige vergaßen darüber sogar zu schwimmen und gingen unter. Die übrigen aber drängten nun mit neuem Elan gegen Bomas’ Heerschar.
Der Kaiser erkannte, dass jetzt der Augenblick des Rückzugs gekommen war, zumal Barasadans Öl aufgebraucht und ausgebrannt war. Er musste mit seinen Männern fünf Meilen flussaufwärts galoppieren und dort übersetzen, um in den Schutz der Stadtmauern zurückkehren zu können. Bomas gab Befehl zum sofortigen Aufbruch. Während die Mehrzahl seiner Männer sich nach Osten in Bewegung setzte, hielt er mit fünfhundert ergebenen Streitern noch eine Weile die Stellung. Er wollte dem Großteil seiner Streitmacht einen mehr oder weniger sicheren Rückzug ermöglichen, und dazu musste er Zeit gewinnen.
Schließlich konnte er dem Druck kaum noch etwas entgegensetzen. Zwölf große Dreimaster und eine Armada von über hundert ein- und zweimastigen Seglern waren bereits so weit herangekommen, dass sie ihre im Wasser schwimmenden Kämpfer aufnehmen konnten. Als die meisten Schiffe ihren Kurs parallel zum Ufer fortsetzten, wusste Bomas, dass er in einer Falle saß. Sofort gab er den Rückzugsbefehl für die letzten seiner Männer. Mit wehenden Mähnen stürmten ihre Rösser das Nordufer des Cedan entlang, hinauf zu den eigenen Schiffen, die bereit waren, ihre Taue zu kappen und die Nachhut überzusetzen.
Fast gleichzeitig erreichten die ersten Wesen der feindlichen Armee das Ufer, große hundeähnliche Kreaturen mit dolchähnlichen Zähnen. Sie nahmen die Verfolgung auf. Einige von Bomas’ Männern blieben todesmutig zurück, um sich den Ungeheuern zu stellen.
Der Kaiser bestand darauf, als letzter das Nordufer zu verlassen. Als sein Schiff ablegte, war der temánahische Flottenverband schon bedrohlich nah. Die cedanische Schiffsbesatzung legte sich in die Riemen und ruderte um ihr Leben.
Auf der Mauerkrone der Stadt hatte man die feindliche Flotte schon früh bemerkt. Felin wusste sofort, was dieser Winkelzug Temánahs bedeutete: Die Woge der Angreifer würde in Kürze auch gegen das Osttor schwappen, und wenn Bomas den Schiffen nicht rechtzeitig auswich, würde er von der Stadt abgeschnitten und in einen aussichtslosen Kampf verwickelt werden.
Nichts konnte ihn jetzt noch an der Westmauer der Stadt halten. Er musste seinem Bruder zu Hilfe kommen, und zwar sofort. Eilig erteilte er dem Fürsten Melin-Barodesch den Befehl, die Stellung zu halten. Qorbán beorderte er an den nördlichen Mauerabschnitt – bestimmt würde die Stadt nun auch vom Fluss her angegriffen werden. Dann sprang er auf das
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