Isau, Ralf - Neschan 03
nächstbeste Pferd und jagte nach Osten.
Straßen, Gassen und Plätze flogen an ihm vorbei. Erschreckte Menschen spritzten auseinander. Noch nie hatte er so bewusst wahrgenommen, wie viele Brücken es in der Unterstadt gab, wie viele Winkel und Ecken man nehmen musste, um einen eigentlich doch geraden Weg weiterzuverfolgen. Endlich erreichte er das Osttor.
Der Herzog von Doldoban hatte in der Zwischenzeit Soldaten zum Flussufer entsandt, um die übersetzenden Kameraden zu unterstützen. Alle Schiffe hatten ihre kampfesmüde Ladung gelöscht und trieben bereits brennend dem temánahischen Verband entgegen – man wollte sie auf keinen Fall dem Feind überlassen. Nur Bomas’ Galeere fehlte noch.
Der Kaiser stand weit vorn im Bug des Schiffes, sein Gesicht einmal dem Feind, einmal dem rettenden Ufer zugewandt. Felin winkte mit der Klinge seines großen Schwertes und Bomas erwiderte den Gruß. Erste Pfeile sirrten durch die Luft.
»Es wird knapp«, knurrte Felin.
»Sie werden es schaffen«, erwiderte Doldoban, aber es klang wenig überzeugt.
Das Kampfgeschehen auf dem Fluss nahm chaotische Züge an. Die in Brand gesetzten Schiffe trieben in die Bahn der sich schnell nähernden Segler Temánahs. Dicker Rauch versperrte die Sicht. Bomas’ Schiff hatte das Ufer fast erreicht.
In diesem Moment tauchte ein großer Dreimaster aus den schwarzen Schwaden auf, er war durch die Linien der Verteidiger geschlüpft. Eine schreiende Kriegerhorde sprang direkt von Bord ins seichte Wasser oder seilte sich an Tauen ab.
Felins Kopf flog zu seinem Bruder herum, der gerade Befehle schrie – einige galten der Schiffsbesatzung, andere den Männern am nahen Ufer. Er zog das Schwert und deutete mit blanker Klinge zum Feind hinüber. Sein eiserner Brustpanzer blitzte in der Nachmittagssonne.
Kaum jemand sah den flirrenden Pfeil, der in diesem Augenblick die Luft zerschnitt und sich in die vom Harnisch nicht geschützte Achselhöhle des Kaisers bohrte. Felin schrie. Die Angreifer heulten triumphierend auf, sie wussten, wen das verirrte Geschoss getroffen hatte.
Ihre Freude währte nicht lang. Felin stürzte auf die temánahischen Kämpfer zu, die das Flussufer bereits erklommen hatten. Mit Schrecken erblickten sie das versteinerte Gesicht des jungen Recken, der wie ein Racheengel über sie kam – niemand bemerkte die Tränen in seinen Augen. Felins Schwert bewegte sich wie ein Falke in einem Schwarm von Tauben: anmutig, geschmeidig und absolut tödlich. Nichts konnte ihm Widerstand leisten, weder beschlagene Lanzenschäfte, eiserne Schilde noch temánahischer Schwertstahl. Tausendfach eingeübte Ausfallschritte und Finten verbanden sich zu einem Kampfstil, dem nicht beizukommen war. Der Prinz wich jedem Schlag aus, der gegen ihn geführt, jedem Speer, der gegen ihn geschleudert wurde. Selbst Pfeile, die man auf ihn abschoss, verfehlten ihr Ziel oder zerschellten an der Klinge des langen Zweihänders, der Felin umgab wie ein durchsichtiger, flimmernder Panzer. Nicht umsonst trug das Schwert den Namen Bar-Schevet, »Sohn des Stabes«: Wie ein lebendiges, zorniges Wesen brachte es das Koach über diejenigen, die es gewagt hatten seine Macht herauszufordern.
Dann brach der Angriff der Temánaher zusammen, sie zogen sich auf ihre Schiffe und in die Mitte des Flusses zurück – mit einem derart mächtigen Gegner hatten sie offensichtlich nicht gerechnet.
Felin stand schwer atmend am Ufer und blickte ihnen nach. Dann erst wurde ihm bewusst, was ihn zu dieser wahnwitzigen Attacke getrieben hatte. Sein Bruder war von einem Pfeil getroffen worden. Er wirbelte herum und eilte zur Anlegestelle.
Bomas lag auf dem Boden, umringt von seinen Kämpfern. Herzog Doldoban kniete bei ihm. Felin bahnte sich einen Weg durch die fassungslosen Soldaten und ließ sich gleichfalls auf die Knie sinken.
»Bomas! Hat es dich schlimm erwischt?«
»Sehr schwer, fürchte ich.«
Felin sah den Schaft des Pfeiles noch immer unter dem rechten Arm seines Bruders hervorragen. Blut sickerte aus der Wunde. »Der Arzt wird das schon wieder hinbekommen«, versuchte er dem Verletzten Mut zu machen.
»Gib dir keine Mühe«, stöhnte Bomas. »Ich weiß, dass es mit mir zu Ende geht.«
»Aber du bist der Kaiser, wir brauchen dich!«
Ein mattes Lächeln huschte über Bomas’ Lippen. »Im Lied der Befreiung Neschans wird man mich den Dreitagekaiser nennen. Das ist schon eine Strophe wert – findest du nicht?«
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute.« Felin wandte sich
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