Isau, Ralf - Neschan 03
die äußerste Pfahlreihe erreicht und sich aufgespießt. Die Angriffswelle kam kurzzeitig ins Stocken, nicht weil die nachströmenden Kämpfer durch den Tod ihrer Kameraden abgeschreckt wurden, sondern weil die durchbohrten Körper ihnen schlicht im Wege waren.
Mit Entsetzen beobachtete man auf den Zinnen, wie eine Anzahl Bestien von der Größe ausgewachsener Kriegselefanten heranrückte, die in dem Pfostenwald zu wüten begann. Die gelb behaarten Tiere stampften die spitzen Pfähle einfach nieder. Zwar zogen sie sich dabei zum Teil auch schwere Verletzungen zu, doch wenn eines von ihnen zusammenbrach, wurde es von den Nachrückenden einfach in den Staub getreten. Dieses rücksichtslose Vorgehen führte zu weiteren schlimmen Szenen: Die am Boden Liegenden zerrissen mit ihren Raubtierfängen einige ihrer Mitstreiter – der Angriff verlor dadurch aber kaum an Schwung.
Yomi schüttelte neben Felin den Kopf und schrie: »Die wüten wie die Wahnsinnigen – sogar untereinander. So ein unheimliches Durcheinander habe ich noch nie gesehen.«
Auch Felin musste die Stimme erheben, um den Lärm zu übertönen.
»Das spielt für sie keine große Rolle. Sie sind so viele, dass es auf ein paar Tausend mehr oder weniger nicht ankommt.«
»Zum Glück ist die Stadtmauer hoch und dick.«
»Ob das ein Glück für uns ist, wird sich erst zeigen.«
Ein Schatten legte sich auf Yomis Gesicht. Er schaute wieder auf die Angreifer hinab.
Am Horizont ließ sich noch immer kein Ende absehen; Temánahs Heer war eine einzige schwarzgraue Masse, genauso, wie Bomas sie beschrieben hatte. Mittlerweile brandete ein kleinerer Teil von ihr gegen die Ufer des Cedan. Einige Floße wurden zu Wasser gelassen. Die überwiegende Zahl der Kämpfer stürzte sich jedoch mitsamt den Waffen ins Wasser. Manche gingen sofort unter, andere kamen bis zur Mitte des Flusses. Doch es gab auch gute Schwimmer – viel zu viele. Auf Bomas wartete ein schweres Stück Arbeit.
Vor der Mauer waren die Angreifer bereits bis auf Schussweite herangerückt. Zum ersten Mal griffen die cedanischen Verteidiger aktiv in das Kampf geschehen ein. Bogenschützen deckten die feindliche Flut mit einem Hagel von Pfeilen ein. Hunderte fielen, Tausende strömten nach. Wenig später fiel endgültig der Wall aus Schutzpfählen. Auch die versteckten Gräben waren bald mit Gefallenen gefüllt. Die ständig nachströmenden Kämpfer stürmten einfach über sie hinweg.
Die ersten Sturmleitern wurden gegen die Stadtmauer geworfen, um gleich darauf unter herabfallenden Felsbrocken zu zerbersten. An besonders stark umkämpften Stellen der Befestigung ergoss sich heißes Pech oder siedendes Öl über die Angreifer. Für Augenblicke brachte das eine gewisse Entlastung, denn die verbrühten Kämpfer, die sich schreiend am Boden wanden, mussten erst aus dem Weg geräumt werden, damit neue Krieger ihren Platz einnehmen konnten.
Ein schwieriges Problem stellte eine besondere »Geheimwaffe« Temánahs dar. Kleine, hässliche Wesen begannen die Mauer zu erklimmen. Sie benötigten keine Leitern dazu, sondern schienen wie Fliegen die Steinwand emporzulaufen. Einige erreichten schnell die Zinnen der Mauer und stürzten sich mit bloßen Krallen auf die Verteidiger. Es gab die ersten Opfer unter der Streitmacht Cedanors. Jede auch noch so kleine Verletzung war tödlich, denn die Krallen der Kletterwesen sonderten eine giftige Substanz ab.
Bomas hatte auch mit dieser Gefahr gerechnet und so mischte man in den Siedewannen schnell ein schmieriges Gebräu, dessen Zusammensetzung aus Barasadans Erfinderwerkstatt stammte. Die heiße Flüssigkeit wurde mit speziellen Pumpen und Schläuchen (ebenfalls eine Entwicklung des Hofgenies) von außen gegen die Stadtmauer gesprüht, mit verblüffender Wirkung: Die zwergenhaften Kletterer fanden plötzlich keinen Halt mehr, rutschten auf dem schlüpfrigen Grund ab und wurden, herabfallend, für ihre Kameraden am Boden zu lebendigen Giftbomben.
Hölzerne Belagerungstürme waren inzwischen an die vordere Kampflinie gebracht worden. Die mehr als hundert Fuß hohen Kampfplattformen sollten an die Mauer gerollt werden. Aber dieser Versuch schlug fehl. Das Blut der eigenen Gefallenen und das, was von ihren geschundenen Körpern noch übrig war, machte den Grund vor der Stadtmauer derart schlüpfrig und uneben, dass die meisten der hohen Türme einfach umkippten. Die wenigen, die ihrem Ziel nahe genug kamen, deckten die Cedaner mit speziellen Brandpfeilen ein, deren
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