Isch geh Schulhof: Erfahrung
schon gut angewöhnt – nun sieh mal zu, wie du aus der Nummer wieder herauskommst!
»Ich hab keine Lust, mir am frühen Morgen eure ekelhaften Sprüche anzuhören«, versuche ich mich zu erklären.
»Wer bist du, vallah? Was quatschst du misch an, ja?«, sagt der Bürstenkopf und geht langsam auf mich zu. Demonstrativ rotzt er mir vor die Füße, woraufhin die anderen Fahrgäste betreten wegschauen.
»Ist doch egal, wer ich bin«, sage ich und schlucke die Angst runter, die in mir aufsteigt. Wer weiß, ob die Jungs bewaffnet sind. »Ich will mir bloß dein Gelaber nicht …«
»Bist du lebensmüde?«, mischt sich der andere ein und steht auf. »Weißt du nisch, wer wir sind?«
Zwei rücksichtslose Vollidioten? Ich beiße mir auf die Lippe, bevor mir aus Versehen eine Beleidigung rausrutscht.
»Nein, weiß ich nicht«, sage ich betont ruhig. »Ist mir auch egal.«
Bis vor Kurzem hätte ich mich niemals freiwillig in eine solche Situation begeben, aber seitdem ich als Lehrer arbeite, bin ich deutlich konfliktfähiger geworden. Außerdem habe ich in der Schule gelernt, dass ein solcher Disput körpersprachlich entschieden wird. Deshalb spanne ich den Oberkörper an, ziehe die Schultern leicht zurück, gehe einen kleinen Schritt vor und schaue dem Kräftigeren der beiden fest in die Augen.
»Wollt ihr mir etwa drohen?«, frage ich leise und spiele danach sichtbar mit meinen Kaumuskeln.
Die beiden sind höchstens dreizehn Jahre alt. Trotzdem führen sie sich auf, als ob ihnen die ganze Welt gehört. Mein mulmiges Gefühl weicht langsam der Empörung. Lebensmüde? Ich glaub, ich spinne! Ich bin ja immerhin Berliner und plage mich daher schon seit Jahren mit solchen Spinnern herum – und dabei ist es mir auch vollkommen egal, ob es sich um Russen, Deutsche, Türken oder Araber handelt.
»Komm jetzt, Emirhan«, sagt der Kleinere und zieht seinen Kumpel weg, der jeden Moment in die Luft zu gehen droht. »Wir müssen raus, lass diesem Schwuchtel jetzt! Wenn wir ihn noch mal sehen, wir machen ihm kaputt, Lan.«
Als die Bahn in die Haltestelle einfährt, lässt sich Emirhan wutschnaubend nach draußen zerren und durchbohrt mich dabei mit tödlichem Blick. Kurz bevor sich die Tür hinter ihm schließt, spuckt er noch einmal in meine Richtung, und als der Zug losfährt, dreht er vollkommen durch. Er boxt mehrmals gegen die Scheibe und brüllt dann, so laut er kann: »Sch’wöre, isch bringe diese Schwuchtel um! Du hast jetzt U-Bahn-Verbot, du schwule Sau!«
Wie üblich tun nach diesem Zwischenfall alle verbliebenen Fahrgäste so, als wäre nichts passiert. Ich dagegen erlebe einen Anflug rasender Wut, den ich nur in den Griff bekomme, indem ich mir vor Augen halte, unter welchen Umständen Jungs wie dieser U-Bahn-Spucker aufgewachsen sein könnten. Aber trotz meines Versuchs, mich in die Lage solcher Typen hineinzuversetzen, werde ich den Ärger in mir nicht gänzlich los.
Im Lehrerzimmer angekommen, platzt es dann aus mir heraus. Zwei Kolleginnen, die gerade am Konferenztisch ihre Unterlagen sortieren und eine Tasse Kaffee trinken, reagieren mit resigniertem Kopfschütteln. In der Zeitung und im Fernsehen war in letzter Zeit zu häufig von U-Bahn-Schlägern die Rede, die erwachsene Männer vor den Augen anderer Fahrgäste ins Koma prügeln.
Auf dem Weg in die 4e, die ich an diesem Morgen als Erstes unterrichten soll, höre ich schon von Weitem den Lärm, der bis ins Treppenhaus zu hören ist. Ich beschleunige meine Schritte. Was ist da bloß los?
Ich reiße die Tür auf. Mein Blick fällt auf Max und Jason, die sämtliche Stühle von den Tischen treten, sodass diese laut krachend auf dem Boden landen. Ansonsten ist im Raum, nur Fatima, die in der Ecke steht und sich die Ohren zuhält. Ich verschränke die Arme, lehne mich in den Türrahmen und warte mit ausdrucksloser Mine darauf, dass die beiden mich bemerken. Als Max sich umdreht und sieht, dass ich keineswegs amüsiert bin, fängt er sofort an zu weinen.
»Oh, Scheiße!«, entfährt es Jason, als er bemerkt, dass er auf frischer Tat ertappt wurde.
Einen Moment lasse ich die plötzliche Ruhe auf uns alle wirken und warte ab, bis Max sich beruhigt hat. Dann schicke ich Fatima nach draußen, den Blick fest auf die Jungs gerichtet.
»Bitte, Herr Mülla«, wimmert Max, als das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hat. »Wir wollten nur …«
»… ein riesiges Chaos anrichten?«, unterbreche ich ihn ruhig.
»Nein«, schaltet sich Jason ein. »Wir
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