Isch geh Schulhof: Erfahrung
wollten die anderen nur das Arbeit wegnehmen …«
Jason ist ein kleiner dicklicher Junge, der auch ohne Migrationshintergrund erschreckend schlecht Deutsch spricht. Trotzdem habe ich verstanden, dass er allen Ernstes behauptet, seinen Klassenkameraden die Stühle herunterstellen zu wollen. Diese offensichtliche Lüge und sein panischer Gesichtsausdruck lassen ihn dabei so drollig aussehen, dass ich große Mühe habe, meine ernsthafte Miene beizubehalten.
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, sage ich.
»Nö«, gibt er kleinlaut zu.
»Also gut«, beginne ich meine Anweisungen. »Die Stunde geht in einer Minute los, bis dahin ist hier alles aufgeräumt. Alles andere bespreche ich mit eurer Klassenlehrerin, wenn sie wieder da ist.«
Die beiden machen sich eifrig an die Arbeit und stellen alle Stühle hinter die Tische. Doch wann bekomme ich Frau Gärtner wohl endlich mal wieder zu Gesicht? Die Klassenlehrerin der 4e ist seit mehr als drei Wochen krankgeschrieben, die muss doch irgendwann mal wiederkommen!
Als Max und Jason fertig sind, lasse ich die anderen herein. Zuerst kontrolliere ich, wer seine Hausaufgaben gemacht hat. Drei Kinder heben die Hand, aber eines davon gibt zu, nur die Hälfte geschafft zu haben.
»Und was ist mit den anderen?«, frage ich streng. »Vergessen, keine Lust oder nicht verstanden?«
Niemand traut sich zu antworten, es herrscht betretenes Schweigen. Die Klasse weiß ganz genau, dass ich stinksauer bin.
»Na gut, dann machen wir die Hausaufgaben jetzt gemeinsam. Holt bitte eure Hefte heraus!«
Natürlich hat vor der Stunde wieder mal keiner die Mathesachen bereitgelegt. Als nach einer Minute immer noch einige Schüler durch die Klasse springen, um ihre Bücher zu holen, merke ich, wie in mir die U-Bahn-Wut wieder hochkocht. Ich versuche mich selbst mit einem Blick aus dem Fenster zu beruhigen, allerdings nur mit minimalem Erfolg. Als endlich alle sitzen, ist die übliche Unruhe immer noch da – Schüler, die sich durch den Raum etwas zurufen, Zettel tauschen und Gegenstände durch den Klassensaal werfen. Ich weise die Kinder zurecht und mache einen Gang durch die Klasse, woraufhin zumindest alle Dinge vom Tisch verschwinden, die nichts mit Mathe zu tun haben.
»Ich sage es jetzt ein letztes Mal«, sage ich gefährlich leise, als ich wieder an der Tafel angekommen bin. »Am Anfang der Stunde hat jeder – jeder! – seine Mathesachen auf dem Tisch. Ist das klar?« Das letzte Wort unterstreiche ich, indem ich mit der flachen Hand auf den Tisch schlage.
Die Kids nicken ängstlich, und ich merke, dass mir mein Ton selbst missfällt. Ich wollte nie Lehrer werden – und so einer erst recht nicht! Dennoch scheint es die einzig funktionierende Taktik zu sein. Die letzten Wochen in dieser Klasse haben mich geschafft. Krawallkinder, fehlende Hausaufgaben, grottenschlechte Testergebnisse, ständige Streitereien, fortgeschrittene Fälle von Mobbing, die Dauerbelastung durch Raiks bodenlose Frechheiten, Prügeleien in den Pausen – der reinste Nervenkrieg!
»Wir beginnen jetzt mit den Hausaufgaben. Seite vierundvierzig, Aufgabe zwei. Wer möchte an die Tafel?«
Niemand meldet sich, alle schauen zu Boden, aus dem Fenster oder zum Tischnachbarn.
»Gut, dann mache ich das«, sage ich schließlich, »aber ihr schreibt gefälligst mit.«
Ich wende mich der Tafel zu und sofort kommt wieder Unruhe auf. Blitzschnell drehe ich mich um und schaue mit grimmiger Miene in die Klasse. Es wird still, und ich drehe mich wieder um. Das Chaos bricht wieder los, und so wiederholt sich das Spiel ein paarmal, bis ich aufgebe und mich an den Lehrertisch setze. Nun geht es in der Klasse erst richtig rund. Der Geräuschpegel steigt sekündlich.
Als ich das Tafellineal auf dem Tisch vor mir entdecke, fällt mir der Tipp eines Kumpels ein, der ebenfalls als Vertretungslehrer arbeitet. »Wenn es mal richtig laut in der Klasse ist«, riet er mir vor Kurzem, »nimmst du das große Tafellineal aus Plastik. Das drückst du mit einer Seite fest auf den Lehrertisch, ziehst die andere Seite hoch und lässt es dann auf den Tisch knallen. Das ist so laut wie ein Pistolenschuss, das wirkt!«
Tatsächlich. Das Lineal knallt so heftig auf den Tisch, dass ich auch erschrocken zusammenzucke – und die Kids erst recht. Die erste Reihe duckt sich instinktiv, alle anderen erstarren.
Nach einem Moment absoluter Stille klopft es an der Tür und meine Kollegin Chrissi aus der Nebenklasse steckt den Kopf herein.
»Alles
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