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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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durchs, äh, Programm führen«, sagt Friedrich und verlässt die Bühne, den Blick wie so oft auf den Boden gerichtet. Weil das nicht nach einem Satzende klang, hält sich der Applaus in Grenzen.
    Nun muss ich also den Animateur für einen Haufen Leute spielen, die sich sonst wahrscheinlich von Dieter Bohlen unterhalten lassen. Von der Bühne aus habe ich fast das Gefühl, mehr Kameras als Menschen zu sehen. Mit technischen Geräten ist die Elternschaft offensichtlich bestens ausgestattet – Unterhaltungselektronik scheint neben tiefergelegten Kleinwagen und gefälschten Luxusklamotten tatsächlich zu den erschwinglicheren Statussymbolen zu gehören. Durch die matt getönten Scheiben eines Dienstwagens der gehobenen Mittelklasse mag das armselig erscheinen, aber aus einer solch herablassenden Perspektive habe ich die Welt glücklicherweise nie betrachtet.
    Ich bitte die erste Gruppe auf die Bühne. Unter Applaus betreten sechs Zweitklässlerinnen in Seidentüchern das Podium und beginnen, ihre Hüften zu orientalischen Rhythmen kreisen zu lassen. Ich weiß nicht so recht, ob ich das gut finden soll. Vor den Augen erwachsener Männer schwingt ein halbes Dutzend siebenjähriger Mädchen mit leicht verschleiertem Gesicht die nackten Hüften. Woran diese Bewegungen erinnern, lässt wenig Interpretationsspielraum zu. Bin ich der Einzige, der das anstößig findet? Wie würde die Klassenlehrerin den Auftritt wohl rechtfertigen, wenn man sie mit der Frage konfrontierte?
    Das Bühnenprogramm geht weiter. Mich stört, dass viele Zuschauer, ja sogar einige Lehrer, unaufmerksam sind. Sollten nicht gerade Lehrer und Eltern Vorbilder für die Kinder sein? Und wenn sie es nicht sind, dann sollte sich bitte auch niemand darüber wundern, dass die Kids dem Geschehen auf der Bühne genauso wenig folgen wie die anwesenden Erwachsenen. Der Hof ist nun wirklich groß genug, um abseits in Ruhe zu quatschen, seine Bratwurst zu essen und dabei SMS zu schreiben. Da ich die Bühne während jeder Aufführung verlasse und mich unters Publikum mische, bekomme ich mit, was die Leute reden. Wenn sie zu sehr stören, versuche ich, sie mit auffordernden Blicken zum Schweigen zu bringen – meistens aber ohne Erfolg.
    Doch mit der nonverbalen Zurechtweisung halte ich mich nicht lange auf, denn schon tut sich ein neues Problem auf: Der Himmel sieht ziemlich verhangen aus. Ich kündige die nächste Performance an und suche schnellstmöglich Herrn Friedrich auf.
    »Was machen wir eigentlich bei Regen?«
    »Wieso?«, fragt er mit einem leichten Anflug von Panik in der Stimme und rückt seine zitrusfarbene, mit Mickymäusen verzierte Krawatte zurecht.
    »Na ja …« Ich deute auf die dunklen Regenwolken, die in unsere Richtung ziehen.
    »Scheiße«, entfährt es ihm.
    Das habe ich ihn noch nie sagen hören, und so oft, wie er es nun wiederholt, habe ich den Eindruck, er findet langsam Spaß daran.
    »Und?«, frage ich, und fast tut es mir leid, dass ich ihn aus der entlastenden Flucherei reiße. »Abbrechen oder nach drinnen gehen?«
    »Alle in die Aula«, sagt er mit ungewohnter Entschlossenheit.
    Die ersten Tropfen klatschen auf den warmen Asphalt. Ich jogge zur Bühne, warte den nächsten Song ab und nehme dann wieder das Mikrofon in die Hand.
    »Wie Sie sehen können, ist das gute Wetter erst mal vorbei«, sage ich und zeige nach oben.
    Die Full- HD -Kameras schwenken gen Himmel.
    »Wir verlegen das Bühnenprogramm in die Aula«, fahre ich fort, »daher möchte ich Sie bitten …«
    Das reicht schon. Die kostbaren Geräte werden schnellstens verstaut, und die Masse bewegt sich in Richtung Schulgebäude. Hausmeister Wolle und der Bühnen-Papa bauen die Technik ab, während der Regen immer stärker wird. Auch ich schnappe mir ein paar Mikrofone und eine der Boxen und renne zum Eingang. Unterwegs überhole ich einen Mann, der seine Jacke über den Kopf gezogen hat.
    »Scheiße Deutschland«, flucht er. »Immer scheiße Wetter hier!«
    Die Aula hat sich schnell gefüllt, weitere Menschen drängen hinein. In dem riesigen Raum wird es stickig, und dank des Regens riecht es nach nassem Hund. Weil keine Zeit dafür war, Stühle aufzustellen, passiert dies gerade in Eigenregie durch Eltern und Schüler. Als alle sitzen, nehme ich die Moderation wieder auf.
    »Als Nächstes darf ich Ranjad auf die Bühne bitten. Er wird uns einen Ausschnitt aus der Zauberflöte auf seiner Geige vorspielen. Applaus!«
    Ranjad, mein schüchterner Schüler aus der 4e, ist einer

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