Isch geh Schulhof: Erfahrung
Bildungspolitik etwas zu sagen, würde ich in der Lehrerausbildung ohnehin bundesweit ein verpflichtendes Vorpraktikum durchsetzen – neben Aufnahmeprüfungen und lange vor dem sogenannten Vorbereitungsdienst, versteht sich. Dieser findet in Berlin nämlich erst nach dem Studium statt, und so merken viele Jobanwärter zu spät, dass sie für diesen Beruf nicht geeignet sind. Doch bevor sie ihr gesamtes Studium inklusive des ersten Staatsexamens in den Wind schießen, beißen sie lieber in den sauren Apfel und versuchen, die nötige Autorität für diesen Job zu entwickeln. Warum Anwärter für dieses Studium nicht bereits im ersten Studienjahr mit der Realität des Schulalltags konfrontiert werden, konnte mir bisher niemand erklären.
Erst wenn eine erfahrene und entsprechend fortgebildete Lehrerkraft die Anwärter durch das Praktikum begleitet hat und grünes Licht gibt, sollten sie meines Erachtens überhaupt zum Studium zugelassen werden. Wenn ich in diesem Zusammenhang an Sarahs Probleme denke, einen Studienplatz zu ergattern, könnte ich mich erst recht aufregen. Sie wird sicher mal eine ausgezeichnete Lehrerin, allerdings zählt bei der Zulassung fürs Studium nur die Abi-Note. Und ein Schnitt von eins-Komma irgendwas ist schließlich noch lange kein Beleg dafür, dass jemand das Zeug dazu hat, später ein guter Lehrer zu werden. Ich frage mich sowieso schon länger, wieso es keine Eignungsprüfungen für diesen Job gibt. Jedes noch so plumpe Unternehmen, dessen gesellschaftliche Relevanz deutlich geringer ist als die unserer Schulen, hat selbst für die bedeutungslosesten Posten aufwendige Assessment-Center entwickeln lassen, in denen die Bewerber ihre Eignung unter Beweis stellen müssen. Aber ein Assessment-Center für Lehrer? Unvorstellbar! Eine hohe Fistelstimme? Kein Problem! Nicht in der Lage, komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen? Macht doch nichts! Unkommunikativ, unempathisch oder schüchtern? Keine Sorge – solange der Abi-Schnitt stimmt! Wie vielen Menschen könnte man durch eine frühzeitige Eignungsprüfung nach mehreren Jahren Studium die schockierende Erkenntnis ersparen, für diesen Job schlicht und ergreifend ungeeignet zu sein? Sicher: Vieles lässt sich erlernen, aber ganze Typveränderungen kommen auch an Unis ziemlich selten vor.
Mit diesen Gedanken und der To-do-Liste in der Hand trete ich wieder auf den Schulhof. Der ist inzwischen voll von großen und kleinen Menschen, die darauf warten, dass es endlich losgeht. Die Bühne steht, die Fressmeile auch – worauf warten wir also noch?
Richtig: auf jemanden, der den Startschuss gibt.
»Herr Möller«, spricht Friedrich mich plötzlich an. »Könnten Sie mir einen riesigen Gefallen tun?«
Ich sehe ihn fragend an.
»Es wäre wirklich toll, wenn Sie … Also ich meine, ich bin mit der Organisation so sehr … Sie wissen schon: Die Moderation, könnten Sie …?«
Ein klassisch gestammelter Friedrich-Satz.
Das fällt ihm ja früh ein.
»Hier ist die Liste mit den Auftritten«, reißt er sich dann wieder zusammen. »Eigentlich müssen Sie immer nur ankündigen, wer als Nächstes auf die Bühne kommt. Okay?«
Nach einigen Momenten der Diskussion stimmt er zu, wenigstens die Begrüßung zu übernehmen. Jemand, der eine Leitungsfunktion übernimmt, sollte doch zu bestimmten Dingen in der Lage sein, oder? Wenn sich jemand als Sicherheitsbeauftragter in einem Atomkraftwerk bewirbt, muss er über die entsprechende Ausbildung verfügen und somit in der Lage sein, Verantwortung für die Sicherheit anderer Menschen zu übernehmen. Herr Friedrich hingegen ist der Mensch gewordene Homer Simpson unter den Schulleitern. Und so hört sich die folgende Rede auch an.
»So, äh, herzlich willkommen zum Sommerfest der, äh, Ludwig-Feuerbach-Grundschule«, stammelt er ins Mikrofon. (Seine Körpersprache dagegen sagt: Ich will so schnell wie möglich weg hier!) »Ich bin Herr, äh, Friedrich, der Schulleiter dieser Schule, und ich, äh, freue mich, dass Sie heute zu unserem Schulfest gekommen sind.«
»Ah, kumma, Dings: Er is dieser Friedrich, von dem Jenny immer spricht«, sagt eine junge Frau zu ihrem Begleiter, der das ganze Theater mit seinem brandneuen Full- HD -Camcorder für die Ewigkeit festhält.
Schön, dass ihr das auch mal erfahrt, denke ich, und bereite mich darauf vor, gleich auf die Bühne zu gehen. Ein bisschen Lampenfieber habe ich schon, aber das gehört dazu.
»… und unser junger Kollege, Herr Möller, wird Sie heute
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