Isch geh Schulhof: Erfahrung
aufgeschrieben haben, was zu tun ist. Die Kids freuen sich, dass wir ihnen etwas Wichtiges anvertrauen, und ziehen glückselig ab.
Ich lege mein Jackett beiseite, denn inzwischen ist mir ziemlich warm. Pasquale und Jeremy bitte ich, mir beim Aufbau zu helfen. Bevor ich gehe, schlage ich Herrn Friedrich weitere Kollegen vor, die er um Hilfe bitten könnte.
»Okay, Jungs«, sage ich dann zu meinen beiden Hilfskräften, »wer zuerst an der Bühne ist! Auf die Plätze, fertig, los!«
Wer Kids spontan zu etwas motivieren möchte, dem sei empfohlen, kurzerhand einen Wettkampf ins Leben zu rufen. Wir rennen gemeinsam zur Bühne. Ich gewinne zwar, hole mir dabei allerdings eine kleine Zerrung im Oberschenkel, von der ich mir natürlich nichts anmerken lasse. Tja, bin halt auch keine achtzehn mehr, sondern achtundzwanzig – sogar bald neunundzwanzig …
Der Bühnenaufbau im Hof geht dank der Jungs superschnell vonstatten. Weil ich selbst weiß, wie unangenehm Rückenschmerzen sind, weise ich die beiden ab und zu darauf hin, immer schön aus den Knien zu heben – und komme mir wegen der guten Ratschläge, die ich früher natürlich nie berücksichtigt habe, endgültig wie ein alter Knacker vor.
Als wir fertig sind, bemerke ich eine Gruppe Eltern, die rauchend auf dem Schulhof herumstehen. Nur ungern möchte ich mich als Hausherr aufspielen, aber Quarzen auf dem Schulhof geht gar nicht. Ich schicke die Jungs zum Büro der Schulleitung und nähere mich langsam der Glimmstängelfraktion.
»Hallo allerseits«, unterbreche ich laut, aber freundlich die kleine Gesprächsrunde. Ich müsste lügen, würde ich sagen, ich sei nicht aufgeregt. »Sind Sie bitte so nett und gehen zum Rauchen vors Schultor? Hier ist Rauchverbot.«
»Sacht wer?«, fragt einer der Väter.
»Die Schulleitung und die Senatsverwaltung«, entgegne ich lächelnd.
»Und wat jeht dich dit an?!«
»Ich bin hier Lehrer«, antworte ich gelassen.
Die meisten der Raucher setzen jetzt verständnisvolle Mienen auf und bewegen sich langsam in Richtung Ausgang. Nur der Wortführer bleibt vor mir stehen und zieht demonstrativ an seiner Zigarette. Mein Adrenalinspiegel rast in die Höhe.
»Du willst hier also Lehrer sein, ja?«, sagt er verächtlich und kommt noch einen Schritt näher. »Und wieso hab ick dich dann noch nie jesehen?«
Jetzt ruhig bleiben, Möller!
»Wahrscheinlich, weil ich erst seit März hier bin«, erkläre ich. »Ich unterrichte Mathematik in der vierten und fünften Klasse.«
Meine Schülerin Kimberly aus der Vierten kommt auf uns zu.
»Papa, du darfst hier nicht rauchen. Ist sowieso ungesund!«, sagt sie streng und blickt dann abwechselnd von ihrem Vater zu mir und wieder zurück. »Kennst du meinen Mathelehrer schon?«
Die Situation ist ihm sichtlich peinlich.
»Sorry, wa?«, nuschelt er betreten.
»Kein Problem, konnten Sie ja nicht wissen«, entgegne ich höflich. Das große Rauchverbotsschild am Hofeingang in knallroter Farbe ist ja auch wirklich leicht zu übersehen.
Es wird Zeit, Herrn Friedrich bei der Organisation zu unterstützen. In seinem Büro hat sich inzwischen eine kleine Schar hilfsbereiter Schüler versammelt.
»Nein, isch will Getränke aufbauen«, ruft Erhan.
»Sch’wöre, isch habe zuerst gesagt!«, entgegnet Pasquale.
»Züsch, er lügt ieberkrass, ja? Halt ma jetzt deine Fresse, du …«
»Hey Kids!«, rufe ich dem pöbelnden Mob zu. Am besten funktioniert in solchen Momenten ein fragender Gesichtsausdruck. Das »Was soll denn die Unruhe hier?« kann ich mir damit sparen – die meisten wissen dann schon, was ich will, und beruhigen sich schnell. In meinem Studium habe ich gelernt, dass fünfundsiebzig Prozent der menschlichen Kommunikation aus Gestik und Mimik bestehen. Ich würde mich auf keine Zahl festlegen wollen, aber die Tendenz scheint zu stimmen.
»Herr Friedrich, haben Sie den Schülern schon Aufgaben zugeteilt?«, frage ich.
Er nickt und liest Aufgaben und Namen vor.
»Gibt’s noch Fragen?«, will ich von den Schülern wissen.
Offensichtlich nicht, also erinnere ich sie daran, dass ich später alles überprüfen werde, und schicke sie dann an die Arbeit. Ich selbst wurde zwar in anderem Ton erzogen, aber hier scheinen klare Ansagen immer noch am besten zu funktionieren. Während ich den etwas entgleisten Herrn Friedrich betrachte, kommt mir der Gedanke, dass Lehrer – und das betrifft auch Schulleiter – offenbar zu wenig auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Hätte ich in der
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