Isch geh Schulhof: Erfahrung
ungeduldig. »Das wird gleich geboren, lassen Sie mich rein. Sofort!«
Da kommt der Lehrer wieder durch, aber bei einem Lautsprecher kann man sich schlecht entschuldigen. Die Tür summt, und ich kann endlich zu Sarah. Dann geht alles ganz schnell.
Wir werden in den rechteckigen Kreißsaal gebracht. Dort angekommen, erleben wir eine großartige Überraschung: Martina ist da. Das ist die Hebamme, die uns während der gesamten Schwangerschaft betreut und heute zufällig Dienst hat. Besser kann’s ja wohl nicht laufen, freue ich mich, doch beim Anblick meiner schreienden Freundin fällt mir wieder ein, dass uns – nein: ihr! – der heftigste Teil noch bevorsteht.
Die folgenden Stunden vergehen im Flug.
Atmen. Pressen. Schreien. Hecheln. Pressen. Das ist das Wichtigste. Einleitungsphase vorbei. Austreibungsphase beginnt. Positionswechsel. Wieder pressen.
Inzwischen ist es bereits hell. Der Uhrzeiger rast auf zehn Uhr zu, als die Geburtsmannschaft, die nur aus Frauen besteht, den Eindruck macht, als wäre es gleich so weit. Ob es wohl auch männliche Hebammen gibt?
»Ja, ganz wenige«, erklärt unsere Hebamme auf meine Frage. »Aber jetzt muss ich mich wieder konzentrieren.«
Selbstverständlich, Entschuldigung!
Ich stell mich aber auch doof an. Na ja, ist ja immerhin die erste Geburt, die ich erlebe. Außer meiner eigenen, aber daran kann ich mich natürlich nicht erinnern. Niemand kann das, weil die neurologischen Strukturen für Erinnerungen in diesem Alter überhaupt noch nicht existieren. Trotzdem gibt es immer wieder Leute, die felsenfest behaupten, Erinnerungen an ihre eigene Geburt zu haben.
»Einbildung ist auch ’ne Bildung«, hat meine Oma in solchen Fällen immer gesagt.
Ein außergewöhnlich lauter Schrei reißt mich aus meinen Gedanken. Noch einer. Noch lauter. Noch länger. Und dann höre ich neben Sarah eine zweite Stimme, schrill und kräftig.
Mir schießen umgehend die Freudentränen in die Augen. Ich traue mich kaum hinzusehen, kann aber ein kleines zappelndes Wesen entdecken: meine Tochter! Sarah hält noch immer meine Hand, während wir beide vor Freude heulen. Okay, bei ihr kommt wahrscheinlich noch die Erschöpfung dazu.
Nach einigen Handgriffen steht die Hebamme freudestrahlend vor uns und drückt Sarah unsere Tochter in den Arm. Begeistert von der unglaublichen Winzigkeit und Niedlichkeit dieses Wesen beobachten wir sie minutenlang und können uns vor Freude kaum einkriegen. Aus dem Hintergrund höre ich, wie die Hebammen den bürokratischen Kram erledigen.
»Am fünften Februar 2011, um 10:35 Uhr kam die kleine Klara Mathilda Lichtenstein zur Welt.«
Mit diesem Namen kriegt sie bestimmt gute Noten.
Als Klara ein paar Minuten später ihre erste Nahrungsaufnahme beendet hat, verschwindet Sarah unter der Dusche. Die Hebammenhelferin tupft das kleine Wesen ab und beginnt mit der Maßarbeit. Dann zeigt sie mir, wie man ein Baby trägt, anzieht und wickelt. Als Sarah aus der Dusche kommt, halte ich ein sauberes und angezogenes Neugeborenes auf dem Arm, das gerade mal so groß ist wie meine beiden Hände zusammen.
Weil die Geburt ohne weitere Komplikationen verlaufen ist und sowohl Tochter als auch Mutter wohlauf sind, wird uns empfohlen, nach Hause zu fahren. Bereits vier Stunden nach der Geburt sitzen wir also auf unserem Bett und halten unsere Tochter im Arm.
Unglaublich.
Den restlichen Samstag verbringen wir mit der Bewunderung dieses zuckersüßen Wesens, telefonieren mit der Familie und laden unsere nächsten Verwandten und engsten Freunde für den morgigen Sonntag ein. Wie es sich für einen frischgebackenen Papa gehört, filme und fotografiere ich die kleine Klara aus allen Winkeln und erkläre der leicht genervten Sarah, dass wir uns irgendwann darüber freuen werden.
Erst am frühen Abend erinnere ich mich wieder an mein normales Leben und greife zum Telefon. Meine Schulleiterin muss informiert werden, denn mit der war abgemacht, dass meine Elternzeit am Geburtstag meiner Tochter beginnt – und mit dem haben wir schließlich erst in drei Wochen gerechnet. Die Schule geht also am Montag ohne mich weiter, und das muss Frau Juhnke wissen. Sie gratuliert mir herzlich und zeigt viel Verständnis für meine frühzeitige Pause. Genauso viel Verständnis, wie sie dafür hatte, dass ich überhaupt Elternzeit nehme – was offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist.
»Du nimmst Elternzeit?«, fragte mich ein Freund, als ich ihm vor ein paar Monaten von meinen Plänen
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