Isch geh Schulhof: Erfahrung
erzählte. Er befindet sich in der Facharztausbildung, und schon beim Gedanken an eine Elternzeit schüttelt er den Kopf. »Mein Chef würde mich umbringen!«
Auch andere männliche Freunde und Bekannte berichteten, dass sie mit einer Elternzeit die Ersten wären und dass sie nur vermuten könnten, wie ihre Vorgesetzten darauf reagieren würden.
Tja, liebe Chefs: willkommen im 21. Jahrhundert!
Nach dem Gespräch mit Frau Juhnke lege ich mein Telefon entspannt zur Seite und geselle mich schnell wieder zu meiner kleinen Familie. Nachdem Klaras Hunger gestillt wurde, kommt sie für das Bäuerchen auf meinen Arm, auf dem sie noch winziger wirkt. Sarah schmiert uns ein paar Brote, dann sitzen wir gemeinsam in der Küche, wo ich ihr davon berichte, dass meine Elternzeit trotz der verfrühten Geburt von Klara am Montag losgeht.
»Das ist so geil«, seufzt Sarah sichtlich erleichtert. »Jetzt haben wir zwei ganze Monate nur für uns.«
Angesichts des kleinen Wesens auf meinem Arm freuen wir uns während des Essens darüber, dass wir so viel Zeit für unseren Nachwuchs haben, und erinnern uns daran, wie bedeutend vor allem die ersten Lebensjahre für die Entwicklung eines Menschen sind. Nach all unseren Erfahrungen aus der Schule und der Uni sind wir uns aber auch einig darüber, dass dieses entwicklungspsychologische Basiswissen in bildungspolitischen Kreisen wohl noch nicht angekommen ist.
Während der pädagogische Einfluss auf Kinder in den ersten Lebensjahren am höchsten ist und dann tendenziell abnimmt, steht das Ausbildungs- und Entlohnungssystem für die Mitarbeiter unserer Bildungseinrichtungen auf dem Kopf: Erzieherinnen, deren Arbeit in der Entwicklung von Kleinkindern eine immense Rolle spielt, werden deutlich kürzer ausgebildet und viel schlechter bezahlt als beispielsweise Studienräte, bei denen die reine Vermittlung von Wissen im Vordergrund steht. Sarah und ich sind uns zwar einig darüber, dass die didaktische Kompetenz von Lehrern in der Oberstufe extrem wichtig ist, aber für die massiven Differenzen zwischen dem gesellschaftlichen Ansehen, der Dauer und der Qualität der Ausbildung und vor allem der Entlohnung bei Erzieherinnen und Lehrerinnen finden wir kein einziges vernünftiges Argument. Weil die erzieherische Leistung von Kindergärtnerinnen und Kleinkindpädagoginnen kaum zu überschätzen ist, wundern wir uns darüber, dass diese in der Hierarchie der Bildungsdienstleister ganz unten stehen. Meine Idee, deswegen nach Skandinavien auszuwandern, verwerfen wir zwar schnell wieder, dennoch sind wir der Meinung, dass man sich von diesem pädagogischen Selbstverständnis mehr als eine Scheibe abschneiden sollte.
»Dabei fällt mir ein«, unterbreche ich aufgeregt unsere Diskussion, »dass nach meiner Elternzeit schon fast wieder Osterferien sind!«
Klara ist inzwischen auf meinem Arm eingeschlafen, also legen wir sie in die Wiege im Schlafzimmer und suchen im Internet nach den Ferienterminen. Tatsächlich: Nach meiner Elternzeit muss ich nur zwei Wochen arbeiten, dann sind schon wieder zwei Wochen frei. Und die lächerlichen acht Wochen zwischen Oster- und Sommerferien sind auch schnell rum – zumal Pfingsten noch dazwischenliegt. Erfreut von diesem Zeitplan schleichen wir leise zu Klara und beobachten sie beim Schlafen.
»Das muss man schon sagen«, flüstert Sarah, »der Job ist verdammt familienfreundlich.«
»Und jetzt stell dir mal vor, wir wären beide Lehrer …«
Der frühe Feierabend würde uns außergewöhnlich viel gemeinsame Zeit verschaffen, die Vor- und Nachbereitung könnten wir erledigen, wenn Klara schläft, und später hätten wir immer gleichzeitig mit ihr Ferien.
Wir setzen uns zum Nachtisch wieder in die Küche, wo ich Sarah begeistert von den wochenlangen Sommerurlauben mit meiner Lehrer-Familie erzähle. Mit dem Wohnmobil durch Europa fahren, ausgedehnte Campingurlaube auf Bornholm und dazu Herbst-, Weihnachts-, Winter- und Osterferien – besser geht es kaum! Mit einem ›normalen‹ Beruf, einem täglichen Feierabend um siebzehn Uhr und achtundzwanzig Urlaubstagen im Jahr sind solche Sachen unvorstellbar.
»So schwer mir der Beruf auch manchmal fällt«, sage ich beim Abräumen, »ich muss mich unbedingt darum kümmern, dauerhaft als Lehrer arbeiten zu können.«
Als wir im Bett liegen, dauert es nicht lange, bis Klara sich meldet und gestillt werden muss. Bei dem berührenden Anblick meiner neugeborenen Tochter stelle ich mir in aller Ruhe noch einmal die Frage
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