Isegrim
für Sassy tun. AuÃerdem bin ich inzwischen auch neugierig, was Marie Scherer zu erzählen hat.«
»Okay, dann lasse ich dich jetzt mal in Ruhe.«
Wir umarmen uns und dann ist er auch schon verschwunden. Ich versuche, den Kopf in die Bücher zu stecken, denn bis zu den Prüfungen in zwei Wochen gibt es noch einiges aufzufrischen, besonders in Mathe und Bio.
Für groÃartige Noten (nichts weiter als Druckerschwärze auf Papier) fehlt mir der nötige Ehrgeiz, ich will bloà das Abi schaffen, denn das habe ich meinen Eltern versprochen. Auf Studieren habe ich keinen Bock. Ich will nach Kanada und in der Wildnis leben wie die Indianer. Dafür braucht man Lebenserfahrung und keine Noten.
Nachdem ich eine Kopfschmerztablette genommen habe, lässt das Kopfweh nach, aber an Lernen ist trotzdem nicht zu denken. Ich liege im Bett, blicke durch das Dachfenster in den Sternenhimmel und frage mich, woran es liegt, dass Kai und ich uns nicht mehr so gut verstehen wie früher. Vier Jahre lang waren wir ein famoses Team und auf einmal gibt es ständig Zoff.
Liegt es an mir? Habe ich mich verändert? Haben wir uns beide verändert? Ich verstehe es einfach nicht.
Nach Alinas Tod wurde ich vorsichtig. Es schien mir vernünftig, mich in Zukunft an Kai zu halten, einen Jungen, der T-Shirts und Hosen trägt, so wie ich. Jungen verschwinden nicht so einfach, das habe ich damals schon begriffen.
Wir waren vorher schon befreundet gewesen (Kai hatte damals hin und wieder mit Alina und mir gespielt), aber nach Alinas Tod dauerte es nicht lange und Kai und ich gehörten zusammen wie Pech und Schwefel, wie Topf und Deckel, wie Max und Moritz. Kai war immer da, ich konnte mich auf ihn verlassen. Er hatte für alles eine Erklärung parat. Wenn ich nicht mehr weiterwusste, dann fand er einen Weg, und wenn ich traurig war, brachte er mich zum Lachen.
Doch nun, da wir miteinander geschlafen haben, ist auf einmal alles furchtbar kompliziert und ich sehne mich nach einer Freundin wie Alina, mit der ich daüber reden kann. SchlieÃlich kann ich nicht mit Kai über Kai reden. Darüber, wie schwer es ist, romantische Gefühle für einen Jungen zu haben, den man sein ganzes Leben kennt und der wie ein Bruder für einen ist. Darüber, dass ich das Gefühl nicht loswerde, einen Fehler gemacht zu haben, und nun befürchte, beide zu verlieren â den Bruder und den Freund.
* * *
Laurentia, liebe Laurentia mein, wann wollen wir wieder beisammen sein?
Sie liebte dieses Lied, das weià er jetzt wieder. Sein blonder Engel, seine Zimtprinzessin. Sie hatten es zusammen gesungen, hatten sich an den Händen gehalten und waren in die Knie gegangen, immer wieder. Danach hatte sie ihre Arme um seinen Hals geschlungen und er hatte ihre knospenden Brüste unter dem dünnen Stoff gespürt, hatte ihr Herz an seinem pochen hören und der feine Duft von Mädchenschweià war ihm in die Nase gestiegen. Er war der wichtigste Mensch für sie.
Aber wo ist sie? Wo?
Er muss seinen Engel wiederfinden, denn ohne ihn ist sein Leben leer.
Laurentia, liebe Laurentia mein,
wann wollen wir wieder beisammen sein?
Am Mittwoch!
Ach, wenn es doch endlich schon Montag, Dienstag, Mittwoch wär
und ich bei meiner Laurentia wär, Laurentia!
6. Kapitel
I ch gehe allein zu Marie Scherer«, eröffne ich Saskia am nächsten Morgen an der Bushaltestelle.
»Und wieso kommt Kai nicht mit? Habt ihr euch geprügelt?« Sie deutet auf meine inzwischen blaugrün gefärbte Beule.
»Ich bin gegen einen Baum gelaufen.«
Saskia hält sich eine Hand vor den Mund und prustet los.
»Und ich habe heute Nachmittag FuÃballtraining.« Kai mustert Saskia mit stoischem Gesichtsausdruck.
»Danke, Jo«, sagt sie und grinst immer noch. »Du bist eine echte Freundin. Ich wäre mir schäbig vorgekommen, wenn ich der alten Frau hätte absagen müssen.«
»Schon gut.«
Als Benni und Kevin an der Bushaltestelle eintreffen, muss ich mir ihre spöttischen Kommentare über meine Beule anhören. Die beiden Fünfzehnjährigen werden von allen nur Dick und Doof genannt. Benni Maul, ein rotgesichtiger Dickwanst mit Bürstenhaarschnitt und kindlichen Pausbacken, in zehn Jahren ist er reif als Kandidat für »Bauer sucht Frau«. Und sein Kumpel Kevin Schlotter, dürr wie ein Zweig, mit käsebleichem Gesicht (nach der Schule muss er in der Kneipe
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