Isegrim
Schäferhund, von den FuÃspuren in der Suhle und von Alina in ihrem hellblauen Feenkostüm, von einem Schatten hinter der Gardine â so schnell, dass ich sie gar nicht als Einzelbilder wahrnehme, nur die Wirkung, die sie auf mich haben.
Mein Herz klopft laut, ich höre mein eigenes Atemgeräusch und mein Verstand kämpft. Ein diffuses Gefühl meldet sich, dass ich nicht beim Namen nennen will: Angst.
Es ist helllichter Tag, Jola. Nur ein Reh, Jola. Das ist dein Wald, Jola. Doch ich spüre, wie sie mich packt, die Angst, wie ihre kalte Hand nach mir greift.
Da â ich bilde mir ein, jemanden zu sehen, der sich unter den Zweigen durchduckt. Ohne weiter nachzudenken, drehe ich mich um und nehme ReiÃaus. Keuchend haste ich am Rand des Waldes den Hang hinauf und wieder hinunter, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ich weiÃ, dass da nichts ist, dass niemand mir folgt auÃer meiner Angst, aber ich fliehe.
Bis ich mit dem rechten Fuà in einer Wurzel hängen bleibe, die Hände ein paar Sekunden zu spät nach vorne reiÃe und meine Stirn in einem weiÃen Licht explodiert, bevor alles um mich herum schwarz wird.
Den pochenden Schmerz spüre ich zuerst. Er geht in Wellen von der Stirnmitte aus. Der Baumstamm, denke ich, noch ganz benommen. Ich bin volle Kanne mit dem Kopf gegen den Baumstamm geprallt. Ich öffne die Augen, befühle mit den Fingerkuppen der rechten Hand vorsichtig meine Stirn. Die Stelle fühlt sich matschig an, erschrocken betrachte ich meine Finger in Erwartung von Blut und Hautfetzen. Stattdessen habe ich schleimiges grünes Zeug an den Fingerkuppen. Weià der Teufel, in was ich da reingefallen bin, es sieht aus wie Hasenkotze. Und riecht nach Kamille.
Ich streife den grünen Schleim am Moos ab, als mir klar wird, dass ich mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt dasitze. War ich ohnmächtig? Wie lange? Habe ich mich selbst so hingesetzt, ohne mir dessen bewusst zu sein? Ich hole meine Wasserflasche aus dem Rucksack (er steht neben mir) und trinke ein paar Schlucke.
Immer noch benommen, stütze ich mich am Baumstamm ab und stehe langsam auf. In meinem Kopf ein Karussell. Vielleicht habe ich ja eine leichte Gehirnerschütterung, das hat mir gerade noch gefehlt. Ma wird die Wände hochgehen und so lange keine Ruhe geben, bis mein Vater mich ins Krankenhaus gebracht hat.
Ich schultere meinen Rucksack und langsam, einen Schritt vor den anderen setzend, arbeite ich mich die Anhöhe hinauf. Mein Schädel pocht, mir ist noch ein wenig schwindelig, aber sonst fehlt mir nichts. Die Angst ist verflogen. Mein Verstand arbeitet wieder und lacht mich dafür aus, dass ich überhaupt welche empfunden habe.
Während ich im Schritttempo und ein wenig wacklig über den Forstweg nach Hause radele, überlege ich, wie ich meiner Mutter die Beule erklären soll, die sich gerade auf meiner Stirn bildet. Und komme zu dem Schluss, dass die Wahrheit ausnahmsweise mal am Unverfänglichsten ist: Ich habe mit offenen Augen geträumt und bin gegen einen Baum gelaufen.
Es funktioniert. Pa lacht mich kopfschüttelnd aus, Ma holt einen Cool-Pack aus dem Tiefkühlfach, wickelte es in ein Geschirrhandtuch und ich muss es gegen die Beule pressen. Immer wieder fragt sie mich, ob mir übel ist, ob ich Dinge doppelt sehe, ob ich Kopfweh habe.
Nein. Nein. Nein.
Irgendwann habe ich dann Kopfweh, aber nicht von meinem Zusammenstoà mit dem Baum, sondern von Mas übermäÃiger, ängstlicher Fürsorge.
Wir sind gerade fertig mit dem Abendessen und ich bin dabei, die Spülmaschine einzuräumen, als es an der Haustür klingelt.
»Ich habe versucht, dich anzurufen, aber dein Handy ist mal wieder ausgeschaltet«, begrüÃt Kai mich ungehalten, als ich die Tür öffne. Er wirkt erschöpft. Dann sieht er die Beule auf meiner Stirn und schnappt nach Luft. »Mit wem bist du denn zusammengestoÃen?«
»Mit einem Baum. Komm rein.« Ich bin froh, dass er mich von meiner Mutter erlöst.
Er steckt den Kopf in die Küche und sagt meinen Eltern Hallo, dann gehen wir nach oben auf mein Zimmer. Der Geruch von Wollwachs und Schafbock breitet sich darin aus, wahrscheinlich kommt Kai direkt von der Weide.
»Zeig mal her.« Er fasst unter mein Kinn und dreht meine Stirn ins Licht. Ein bläuliches Horn auf der Stirn, zwei dunkelrote Kratzer auf der Wange â die Wildnis fordert eben ihren
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