Isegrim
Strich an seinem Unterarm.
Olek schiebt die kleine Pille gehorsam in den Mund, legt den Kopf in den Nacken und nimmt einen Schluck Wasser aus der Colaflasche. Sein Adamsapfel tanzt auf und ab.
»Danke.«
»Morgen musst du zwei nehmen, eine am Morgen und die andere am Abend. Okay?« Ich lege die Tabletten auf die Steinplatte. »Und nun zu deiner Hand.«
Ich packe alles auf den Tisch, was ich von zu Hause mitgebracht habe, handle, ohne nachzudenken. Alles, was ich tue, fühlt sich ganz selbstverständlich und richtig an. Als ich die entzündeten Wundlöcher mit Cutasept einsprühe, entfährt Olek ein polnischer Fluch (do diabla!), er beiÃt sich auf die Unterlippe.
Ich decke die Wunde sauber ab und verbinde sie. Dabei hat Olek wieder einen Anfall von Schüttelfrost. Er rollt sich auf seinem Lager zusammen und ich ziehe ihm die Fleecedecke bis zu den Schultern.
»Die Tabletten werden helfen«, sage ich. »Du musst viel trinken und ich habe dir auch etwas zu essen mitgebracht. Ich versuche, morgen wiederzukommen. Wenn ich nicht komme, dann vergiss nicht, die Tabletten zu nehmen, okay?«
Auf einmal liegt er ganz ruhig da und sieht mich mit seinen groÃen Augen an. Mit einem Blick, der mir durch Mark und Bein geht und an etwas rührt. An eine Erinnerung, einen Gedanken, ein Bild. An etwas, das ich nicht fassen kann.
»Hast du alles verstanden?«
Olek nickt.
Ich zeige auf die Lampe. »Du weiÃt ja jetzt, wie sie aufgeladen wird. Ich muss los, sonst bekomme ich höllischen Ãrger mit meiner Mutter.«
»Danke.« Er lächelt. Ich habe das Gefühl, er ist jetzt ganz klar.
»Bis morgen.« Beim Verlassen der Höhle muss ich an Oleks unheimlichen Mitbewohner denken und dass Tomasz jetzt noch ein Weilchen auf seine Entdeckung warten muss. Nur so lange, bis ich weiÃ, wer Olek ist, warum er hier ist und wovor er sich versteckt.
Ich bin fast eine Dreiviertelstunde zu spät, als ich nach Hause komme, und mache mich trotz Zettel auf Vorwürfe gefasst. Doch es passiert überhaupt nichts. Ma liegt im Wohnzimmer auf der Couch und der Fernseher läuft. Sie drückt einen Cool-Pack gegen ihre Wange.
»Hallo, Mami«, begrüÃe ich sie. »Wie geht es dir?«
Das ist eine rein rhetorische Frage, es geht ihr beschissen und man sieht es ihr an. Als Antwort schüttelt sie nur den Kopf.
»Ist der Zahn drauÃen?«
Ein winziges Nicken.
»Kann ich dir etwas bringen?«
Wieder ein Kopfschütteln.
Ich zucke mit den Achseln und will das Wohnzimmer verlassen, als ich einen Blick nach drauÃen werfe und sehe, wie mein Vater mit seinem Jagdgewehr über der Schulter aus dem Büro kommt. Wilma springt aufgeregt um seine Beine.
Pa geht auf die Pirsch, denke ich. Ausgerechnet heute. Ich hoffe, dass sein Ziel nicht der GroÃe Tambuch ist.
Wie lange der Wald meine Geheimnisse wohl noch wahren wird? Inzwischen sind es drei, wenn ich Tomasz â oder besser das, was von ihm übrig ist â dazuzähle. Ich mache mir nichts vor, es kann nicht ewig so gehen, irgendwann wird jedes Geheimnis gelüftet. Aber ich kann niemandem von der Wölfin oder dem Skelett in der Höhle erzählen, ohne Olek zu verraten.
In was für eine abgefahrene Geschichte bist du da nur hineingeraten, Jola?
17. Kapitel
A m Morgen des folgenden Tages erfahren wir im Schulbus von Tilmans Kumpel Marco, dass Lisa verschwunden ist. Lisa, die zarte Grazie mit den blonden Locken, die auf dem Open Air mit allen, auch mit Olek getanzt hat.
»Seit wann?« Ich spüre, wie mir übel wird. Beginnt jetzt wieder alles von vorn?
Es ist still wie nie im Bus. Die Kleinen sind gerade in Eulenbach ausgestiegen, alle Ãbrigen lauschen.
»Als sie am Sonntagnachmittag immer noch nicht vom Open Air zurückkam«, berichtet Marco, »hat ihre Mutter angefangen, sich Sorgen zu machen. Sie hat Lisas Freund angerufen und der meinte, sie hätten sich gestritten und er wäre gar nicht mit auf dem Open Air gewesen. Auf jeden Fall ist sicher, dass sie am Sonntag schon nicht mehr dort war.«
Ich sehe Kai an. Mir ist hundeelend, denn ich muss an Samstagnacht denken, an Trefflichs Jeep im Wald. Ist etwas dran an Tonia Neumeisters Behauptung, dass es nicht Martin Sievers war, der Alina umgebracht hat?
Kai deutet meinen Blick richtig. »Bleib mal ganz ruhig«, sagt er. »Keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
»Hat ihre Mutter sie als vermisst
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