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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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aufzuschreien. Vom Höhleneingang kommt ein kehliges Grollen.
    Â»Schon gut, Wilma«, beruhige ich sie. »Er tut mir nichts.« Olek hält mein Handgelenk immer noch fest gepackt. »Ich bin’s doch nur, Jola.«
    Eines von beidem, meine Stimme oder mein Name, muss zu ihm durchgedrungen sein, denn Olek lässt mich endlich los und sinkt auf sein Lager zurück.
    Â»Jola«, stammelt er zähneklappernd.
    Ich streife meinen Rucksack ab, suche die Wasserflasche. Schiebe meine Rechte in Oleks Nacken und mit der anderen Hand setze ich die Flasche an seine Lippen. Sein magerer Körper strahlt Hitze aus, ich rieche Schweiß und den moschusartigen Geruch eines wilden Tieres.
    Â»Wasser, Olek. Du musst trinken.«
    Gierig beginnt Olek zu schlucken. Wasser rinnt über seine glühenden Wangen, seinen Hals. Er stöhnt leise, schließt die Augen. Ich setze die Flasche ab und hebe meine Taschenlampe vom Boden auf. Dabei stoße ich auf einen kleinen Bücherstapel. Obenauf ein polnisch-deutsches Wörterbuch. Olek kommt also aus Polen. Wie Tomasz.
    Offenbar versteckt er sich seit Wochen in dieser Höhle und sein Inventar besteht aus jenen Dingen, die von den Leuten im Dorf vermisst werden. Wie konnte er so lange unentdeckt bleiben, wenn er all diese Sachen gestohlen hat?
    Das Flackern der Lampe erinnert mich daran, dass ich mir Oleks Hand ansehen muss, bevor die Batterien ihren Geist aufgeben. Ich beuge mich über ihn und lange nach seinem rechten Handgelenk. »Lass mich das mal ansehen, ja?«
    Widerstandslos lässt Olek mich den schmutzigen Verband lösen, aus dem irgendwelches Grünzeug fällt. Ich schnuppere daran. Kamille. Blitzartig muss ich an die schleimig grüne Masse auf meiner Stirn denken, als ich gegen den Baum gerannt bin.
    Olek muss mir Erste Hilfe geleistet haben, als ich ohnmächtig war. Alles wird immer rätselhafter. Im sterbenden Licht meiner Taschenlampe begutachte ich Oleks Hand. Er hat keine Schnittverletzung, es ist ein Hundebiss. Die Bisslöcher in den Fingern und der Handfläche sind entzündet. Ein roter Streifen zieht sich über das Handgelenk den schweißglänzenden Unterarm entlang.
    Anscheinend hat Olek versucht, die Wunden mit irgendwelchen Heilpflanzen zu behandeln, aber Hundebisse sind hoch bakteriell. Zwar bedeutet dieser rote Strich keine Blutvergiftung (das hoffe ich jedenfalls), sondern nur eine Lymphbahnentzündung, die mit Antibiotika in den Griff zu bekommen ist. Pa wurde letztes Jahr von einem Fuchs gebissen und hatte auch so einen roten Streifen am Unterarm. Wie hieß bloß das Zeug, das er von seinem Arzt bekommen hat?
    Â»Du musst zu einem Arzt«, bemerke ich mit gerunzelter Stirn. »Das sieht nicht gut aus.«
    Â»Nie«, stößt Olek mit aufgerissenen Augen hervor. »Keinen Arzt … nein.« Er zieht die Hand zurück und schüttelt panisch den Kopf.
    Â»Schon gut. Ist ja gut.«
    Verdammt, verdammt, verdammt. Was mache ich nur? Fieberhaft überlege ich, was ich tun kann. Mein geheimnisvoller Elf ist ein Dieb. Er steigt in die Häuser anderer Menschen ein und nimmt sich, was er braucht. Er haust wie ein Eremit in einer Höhle im militärischen Sperrgebiet und wildert in einem ausgewiesenen Artenschutzgebiet mit Pfeil und Bogen. Das allein dürfte ihm gewaltigen Ärger einbringen, wenn er erwischt wird, aber ich bin mir sicher, dass er noch mehr auf dem Kerbholz hat als das.
    Nje blokuja. Kurzerhand schnappe ich mir das Wörterbuch und schlage nach. Da haben wir es: Nicht einsperren .
    Vielleicht gehört Olek ja zur Polenmafia, die soll in Arnstadt ziemlich aktiv sein und schon über Monate hinweg teure Autos verschwinden lassen. Oder er hat mit Drogen gehandelt. Es kann alle möglichen Gründe dafür geben, warum Olek sich hier versteckt und auf keinen Fall zu einem Arzt will.
    Das alles ist ziemlich verrückt und doch geht es mir wie Marie vor fast siebzig Jahren: Ich kann nicht anders. Ich muss diesem Jungen helfen. Irgendetwas wird mir schon einfallen.
    Â»Also gut«, sage ich. »Mal sehen, was ich für dich tun kann.«
    Ich schnappe mir die große Colaflasche vom Tisch und befehle Wilma, bei Olek zu warten. Im Wasserbecken der unteren Höhlenkammer fülle ich die Flasche und den Wassereimer auf und trage beides zu Olek. Ich gebe ihm noch einmal zu trinken, dann drücke ich ihm die Flasche in die gesunde Hand und lege ihm zwei

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