Isenhart
sie daher bei Laune.
»Und das wäre?«, fragte Isenhart.
Christian von Kosach hielt auf seinem Rundgang über den Friedhof an und deutete mit dem Kopf auf einen mit Moos bewachsenen kleinen Erdhügel. Das Kreuz darauf war nahezu verrottet. Aber die Inschrift hob sich immer noch gut lesbar von dem Holz ab: Aberak von Annweiler, 1130 – 1185.
Ernüchterung erfasste sie beide, das war das erste Gefühl, wie Isenhart und Henning einander später versicherten. Aber dann folgte – auch darüber bestand Einigkeit zwischen ihnen – eine Art Schauer.
Logische Schlussfolgerungen zogen sie beide äußerst flink: Entweder waren sie dem falschen Mann auf der Spur, oder sie jagten einen Wiedergänger. Schloss man die zweite Möglichkeit aus, konnte er weder der Mörder von Lilith noch der von Anna gewesen sein, rief Isenhart sich ins Gedächtnis. Anna von Laurin war 1189 gemeuchelt worden, vier Jahre nach von Annweilers Tod.
»Hat er einen Sohn, der denselben Namen trägt?«, fragte Henning.
Christian der Frohe schüttelte den Kopf. »Er war verheiratet, aber kinderlos. Der Herr hat ihm und seiner Frau Kinder versagt. Sie starb noch vor ihm.« Mit dem Kopf deutete er auf einen anderen Hügel, zwei Reihen weiter. »Worin begründet sich Euer Interesse an diesem Mann, wenn Ihr mir diese Frage gestatten wollt?«
»Nahe Spira wurde eine Wirtstochter ermordet«, antwortete Isenhart, »der Mann, den wir verdächtigen, gab sich als Aberak von Annweiler aus. Deshalb sind wir hier.«
Das Lächeln des Priors wurde eine Spur dünner, schwand aber selbstverständlich nicht ganz. »Wie schrecklich«, sagte er, ohne den Schrecken dabei zu empfinden, weshalb Henning wie Isenhart ihn auch nicht in seiner Stimme wiederfanden.
»Es scheint«, fuhr Christian fort, »Ihr sucht nach einem Wiedergänger.«
Er versuchte, den Schauer abzuschütteln, der ihm bei dieser Vorstellung den Rücken hinablief.
»Aber wenn der Wirt ihm begegnet ist, seid Ihr keinem Nachzehrer auf den Fersen.«
»Nachzehrer?« Henning konnte mit diesem Begriff offenbar nichts anfangen.
»Nachzehrer verlassen ihr Grab nicht«, erklärte Isenhart ihm mit sachlicher Miene, »Sie rauben den Menschen aus ihrem Grab heraus die Lebenskraft.«
Henning von der Braake nickte zum Zeichen dafür, dass er verstanden hatte. »Ich kenne nur eine Form der Wiedergänger«, sagte er, »und das ist ein Draugr. «
Christian der Frohe gab zu ihrer Erleichterung endlich sein Lächeln auf. Und schon war der Mund eingebettet in eine Unzahl von Falten, die sich durch das dehnende Lächeln zuvor dem Blick desBetrachters entzogen hatten. »Meint Ihr, er könnte sich hier herumtreiben?« In seinen Augen lag ehrliche Angst.
Isenhart deutete ein Achselzucken an. Er hatte keine Ahnung von den örtlichen Vorlieben eines Wiedergängers.
»Warum sollte er?«, entgegnete Henning, um den Mann zu beruhigen, der schon wieder leicht zu lächeln begann. Immerhin.
Der Prior trat nahe an sie heran und beugte sich konspirativ vor. »Sie können die Zukunft schauen«, wisperte er, »und sie haben übermenschliche Kräfte.«
»Seid Ihr schon einem begegnet?«, fragte Isenhart.
Der Prior schlug das Kreuz: »Gott behüte!« Um nach einer Pause hinzuzufügen: »Aber ich weiß, wie man sie töten kann.«
»Indem man ihnen den Kopf abschlägt«, sagte Isenhart und las in dem Gesicht des Priors die Enttäuschung darüber, den beiden Fremden keine weitere, schaurige Neuigkeit mitteilen zu können.
Also begnügte Christian von Kosach sich mit einem Nicken. »So ist es«, bestätigte er.
»Glaubst du an Draugr?«
Henning und Isenhart teilten sich ein Gästezimmer, das aus vier Strohlagern bestand, von denen sie zwei in Anspruch nahmen. Zum Glück hatte die Augustsonne den Sandstein im Laufe des Tages so sehr erhitzt, dass er die gespeicherte Wärme über weite Teile der Nacht wieder abgab.
Der Mond warf fahles Licht durch einen Spalt in der Mauer in ihre Kammer. Ein paar Mäuse huschten über den Boden und verkrochen sich in kleinen Löchern im Mauerwerk, sobald einer von ihnen sich regte.
»Ich weiß nicht«, bekannte Henning, »ich kenne niemanden, der je einen getroffen hätte.«
»Ich auch nicht.«
Sie schwiegen eine Weile. Dabei umfing Isenhart dasselbe Gefühl, das er empfand, wenn er mit Konrad schwieg – er fühlte sich aufgehoben. Nur dass es bei Konrad und ihm Jahre gedauert hatte und dieser Zustand mit Henning nach nur wenigen Tagen eintrat. Isenhart hätte nie benennen können,
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