Isenhart
ein Leibeigener, ein unfreier Mann, über den Sigimund von Laurin nach Belieben hatte verfügen dürfen. Mit dessen Tod ging die Leibeigenschaft auf Konrad über, dem sich zwar Walthers Geste gegenüber den Unfreien partout nicht erschließen wollte, der Isenhart aber in Wort und Tat ebenfalls seiner Pflichten enthob.
Der ergebenste Mann auf Walthers Hof war Zolner. Klein, schmal von Gestalt und das Herz voller Misstrauen allen Fremden gegenüber. Zolner stammte von Zolner dem Älteren ab und der wiederum von einem Zolner zu Tutenhoven und immer so weiter. Zolners Stammbaum war voller Menschen, die allesamt in Tutenhoven das Licht der Welt erblickt hatten und deren bekannte Welt in Spira geendet hatte. Was den Anschein von Begrenzung barg, wandelte sich, sobald man das Gespräch mit Zolner suchte, der seine Unkenntnis über die Welt mit seiner Kenntnis der Gegend aufwog. Zolner kannte jeden und alles, und jeder kannte Zolner.
Kein Strauch, kein Baum, kein Stein, der nicht über seine eigene Geschichte verfügte. Wie hoch war der Normalpegel der Spira im Herbst zu veranschlagen? Auf welchem Landstrich von Tutenhoven gedieh Winterweizen am besten? Wer war die Base der Frau, deren Enkeltochter im Frühjahr 1188 das große Los gezogen und in eine Familie in Spira eingeheiratet hatte? Welchen Wetterumschwung brachten Kumuluswolken mit sich, wenn sie von Windböen aus Südsüdwest über den Himmel getrieben wurden?
Zolner wusste auf alles eine verlässliche Antwort. Er war das wandelnde Gedächtnis von Tutenhoven. Die höchste Priorität genoss der Herr, dem man diente. Ihm, seinen Wünschen und seinenBedürfnissen wurde das eigene Leben verschrieben. So war es seit Anbeginn der Blutlinie der Zolners gewesen, und es gab keinen auch nur halbwegs vernünftigen Grund, mit dieser Tradition zu brechen.
Zolner wirkte auf dem Hof als Walthers rechte Hand, teilte die Leute zu anstehenden Arbeiten ein und schaute dem Gesinde auf die Finger. Zolner überwachte Aussaat und Ernte auf den Feldern, beteiligte sich am Scheren der Schafe, geleitete die Männer in den Wald, um Holz zu hacken, das sie verarbeiteten oder der Feuerstelle zuführten. Hier lösten sie die Eichenrinde für die Lohgerberei von den Stämmen, und im Sommer brachten sie Beeren mit nach Hause.
Hin und wieder übertrieb Zolner es mit seiner Aufsicht und fiel dem Gesinde mit seiner Pedanterie auf die Nerven.
»Obacht, der Wichtige ist im Anmarsch«, flüsterten sie sich dann mit einem vielsagenden Grinsen zu, sobald Zolner sich irgendwo blicken ließ.
Neben Walther von Ascisberg gab es auf Gut Tutenhoven nur eine Person, von der Zolner sich etwas sagen ließ: Cecilia.
Ihr filigraner Name stand im Widerspruch zu ihrer Erscheinung. Walthers Magd bewegte auf zwei kräftigen Beinen eine beachtliche Körperfülle kreuz und quer durch Hof und Haus. Emsig wie eine Biene, mit geröteten Wangen und begleitet von einem stetigen Schnaufen putzte, wusch und kochte sie. Cecilia, die für ihr Leben gerne tanzte, der der Frohsinn aus den Augen zu sprühen schien, sie erledigte ihre Aufgaben mit flinker Hand.
In von Ascisbergs Arbeitszimmer war ihr allerdings nur gestattet, mit der Hälfte ihres sonstigen Tempos für Ordnung zu sorgen, um ihn nicht aus seinen Gedanken zu reißen, während er den Almagest studierte.
Es gab nichts, was Cecilia nicht konnte – aber an der Aufgabe, sich nur halb so flink zu bewegen, wie sie konnte, scheiterte sie regelmäßig. Walther von Ascisberg hatte ein Einsehen, verließ den Raum, wenn Cecilia nahte, und zog sich auf eine Anhöhe hinter dem Steinhaus zurück, wo er unter drei Tannen Schatten suchte und sich in die Theorie der Berechnung der Gestirne vertiefte.
Manchmal vergaß der Alte dort oben die Zeit, dann schob Zolner sich mit angemessen langsamen Bewegungen in das Blickfeld desHerrn, bis dieser ihn bemerkte und mit Überraschung den tiefen Sonnenstand registrierte.
Cecilia jedenfalls war die einzige Bewohnerin des Gutes von Tutenhoven, die aus Zolners Mund keine Anweisung zu hören bekam. Denn sie hatte Zolner als Amme großgezogen, niemals hätte er es gewagt, ihr in ihre Arbeit reinzureden.
Der Empfang in Tutenhoven geriet misstrauisch bis herzlich. Isenhart war Zolner nicht geheuer. Er tauschte sich mit seinem Herrn über Dinge aus, die sich Zolners Geist entzogen, aus diesem Grunde war er unschlüssig, was er von Isenhart zu halten hatte.
Walther, der Herr, war betagt, vielleicht hatte dieser junge Mann es auf das Erbe
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