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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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nicht unwahrscheinlich, dass Brid tatsächlich die Schwester des Mordopfers war – und ihnen vielleicht etwas über Aberak von Annweiler erzählen konnte.
    Henning und Isenhart hatten doppelt Glück.
    Zum einen hatte man Ketlins Leichnam nicht irgendwo verscharrt oder in den Fluss geworfen, sondern in dem Bericht auch den Ort ihres ewigen Schlafes vermerkt. Zum anderen lag die Parzelle, auf der man Ketlin begraben hatte, im Windschatten des Beinhauses, in dem der Totengräber die Gebeine jener aufschichteten, die auf dem Friedhof den Körpern der frisch Verstorbenen weichen mussten.
    Weitgehend vor neugierigen Blicken geschützt konnten sie mit Schaufel und Spitzhacke das Grab ausheben. Der prasselnde Regen, der in dieser Oktobernacht pünktlich zum Sonnenuntergang eingesetzt und seitdem nicht mehr nachgelassen hatte, sondern sich vielmehr anschickte, sie bis in den Morgen zu begleiten, war ihnen dabei dienlich und übertünchte die Geräusche, die sie beim Graben verursachten.
    Konrad hatte unter dem weiten Bogen des Osttores Position bezogen und regte sich nicht. Nur hin und wieder drehte er den Kopf ein wenig, um sie mit einem vorwurfsvollen Blick zu bedenken.
    Auf dem Weg über den Friedhof war Isenhart zum ersten Malin seinem Leben bewusst geworden, wie nah an der Oberfläche die Toten ruhten. Der Regen führte zu Auswaschungen im Erdboden, Schemen von Körpern erhoben sich aus dem Dreck, Hände, Gliedmaßen, der Teil eines Rückens wurde der Erde vom Regen abgetrotzt, den Ratten und Mäusen dargeboten, die sich daran gütlich taten und vor Henning und Isenhart flohen, als sie zu der Parzelle schritten.
    Einige Körper schienen sich zu bewegen, im Todesschlaf zu kauen und zu schmatzen. Isenhart erstarrte zur Salzsäule. Er meinte, sie wispern hören zu können.
    Henning hielt ebenfalls inne und bemerkte Isenharts vor Angst geweitete Augen. »Sie sind tot«, sagte er daher.
    »Ich höre sie flüstern. «
    Mit einem Mal war die Vorstellung, Aberak von Annweiler sei ein Draugr, der sich aus seinem Grab erhoben hatte, gar nicht mehr so abwegig.
    Henning trat näher. »Es sind Gase, die entweichen. Faulgase«, präzisierte er.
    Die Worte des Freundes drangen durch seine Angst und beruhigten Isenhart ein wenig.
    »Das erste Mal hab ich mich auch erschrocken. Aber mit den Jahren …«
    Er ließ es unausgesprochen. Isenhart konnte sich aber auch so problemlos vorstellen, wie in den Jahren, die Henning an der Seite seines Vaters verbracht hatte, sich beim Anblick von Leichen zunehmend Erträglichkeit eingestellt hatte.
    Isenhart hatte sich gezwungen, Henning zu der Parzelle neben dem Beinhaus zu folgen, wo sie jetzt gruben und binnen einer Viertelstunde auf die ersten Knochen stießen. Die Zehen eines Fußes, dann das Schienbein und das Kniegelenk, weiter hinauf zur Hüfte und den Rippenbögen, die an der Seite eingedrückt waren, verbogen.
    »Wahrscheinlich wurden die inneren Organe verletzt oder sogar durchbohrt«, wie Henning kommentierte, während Isenhart den aufkeimenden Würgereiz unterdrückte, indem er den Blick von dem Skelett, an dem noch Stofffetzen klebten, ab- und ihn Konrads Gestalt unter dem Torbogen zuwandte.
    Eine weitere Viertelstunde später hatten sie vier Skelette aus der schwarzen Erde gehoben, deren Knochen der Regen wusch. Ketlin war noch nicht darunter, denn zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihrem Mörder zum Opfer gefallen war, zählte sie erst zwölf Lenze. Sie durchsuchten die Grablege nach einem kleinen Gerippe.
    Als sie endlich darauf stießen, es war das siebte Skelett, pochte Isenharts Herz vor Wut über den Mann, der ein wehrloses Mädchen ermordet hatte. Behutsam befreiten sie die Knochen von der Erde, während sich am Grund des Loches langsam das Regenwasser sammelte.
    Henning winkte Konrad heran, so war es verabredet. Konrad von Laurin schnappte sich die Fackel neben dem Tor, deren Flamme sich zischend der Regentropfen erwehrte, und kam auf sie zu. Selbstverständlich sah er bei jedem Schritt über die Schulter und auch zu beiden Seiten, er hing an seinem kleinen Finger.
    Isenhart und Henning, beide bis auf die Haut vom Regen durchnässt, hockten neben dem feinen Knochengerüst und mussten abwarten, bis Konrad ihnen die Fackel übergab. Isenhart las Bedauern in dem Blick, mit dem Henning den Schädel Ketlins betrachtete.
    Dann endlich hatte Konrad sie erreicht. Missbilligend nahm er zur Kenntnis, was Isenhart und sein neuer Freund hier angerichtet hatten. Sieben Tote lagen im Schlamm.

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