Isenhart
anrührt, wird ein ödes Leben ohne Hoden führen, mein Freund. Den Schwanz werde ich dem Mistkerl abschneiden, die Fingerkuppen rausreißen und ihn blenden.«
»Verständlich«, murmelte Konrad von Laurin.
Patricia stellte ihnen zwei Holzschalen auf den Tisch, in denen sich jeweils drei dem Viertel eines Kreises entsprechende Wölbungen befanden.
»Das sind Jakobsmuscheln«, erklärte Luca, als er ihre erstaunten Mienen bemerkte, »habt Ihr noch nie Muscheln gesehen, hä?«
»Nein«, bekannte Isenhart.
Passaforo lachte in einem dröhnenden Bass.
»Herrje«, fügte er hinzu, »seht her.«
Mit der kurzen Klinge eines Messers öffnete er eine der Muscheln und deutete auf das Fleisch.
»Das ist das, was man essen kann. Die Fischer stibitzen die eine oder andere, denn eigentlich kosten sie so viel, dass sie sich nur die hohen Herren leisten können.«
»Wie sind keine hohen Herren«, klärte Isenhart ihn auf.
»Macht nichts, die Muscheln sind von vorgestern«, beruhigte Luca Passaforo ihn, »langt zu.«
Vorsichtig probierten die beiden. Die Muscheln waren in einem Sud aus Wasser, Knoblauch und etwas Gemüse angerichtet, ihren Gaumen war das fremd, aber nicht unangenehm. Obwohl sich im Nachgeschmack etwas Modriges einstellte.
Patricia gesellte sich zu ihrem Vater, sie richtete ihre Augen auf Konrad. Mit der Miene eines Mädchens, das sich gerade seiner Wirkung auf das männliche Geschlecht bewusst geworden war.
»Jakobsmuscheln«, sagte Konrad, um sich von dem abzulenken, was er am liebsten mit Passaforos Tochter anstellen würde, »woher kommt der Name?«
»Großartige Geschichte«, grinste Luca und zog einen Schemel heran, auf dem er Platz nahm, bevor er seiner Tochter, die ihm zu lange den Deutschen anstarrte, einen kräftigen Klaps auf ihren schönen Hintern verpasste. »Bring Wein. Also, diese Muscheln gibt es überall. Und angeblich hat Jakob, der Jünger unseres Herrn Christus, der Apostel Jakob, in Iberien gewirkt. Ist natürlich Unsinn, denn was hatte er da zu suchen, und Kastilisch konnte er auch nicht. Aber vor dreihundert Jahren oder so hat man in der hispanischen Einöde bei einem noch öderen Dorf ein paar Gebeine gefunden. Vielleicht gehörten sie einem Goten oder einem Muselmanen oder einem Maultier«, Passaforo lachte, »wer weiß? Der Bischof dort war ein kluger Mann, er bestimmte, dass diese die Gebeine des Apostels Jakob sein müssen.«
»Was ist daran klug?«, wollte Konrad wissen.
»Na, seitdem das Pilgern in Mode gekommen ist, laufen Trottel quer durchs Abendland zu heiligen Stätten. Und sie bringen Gold mit. Sie essen und trinken und müssen schlafen. Santiago de Compostela, so heißt das Kaff, war mal klein und kein Wort wert. Heutesteht da eine Kathedrale, und alle leben davon, dass die Verwirrten sich unter Strapazen dorthin quälen.«
Nach dem Essen erfuhren Isenhart und Konrad, dass sie sich noch zwei Tage gedulden mussten, bevor wieder ein Schiff zur iberischen Halbinsel aufbrach. Ihre Magen rebellierten – die Seeluft, wie Luca erklärte – und in dieser Zeit erkundeten sie die Stadt, hörten sich um, was über den Landweg von Genua nach Toledo in Erfahrung zu bringen war, und erörterten die Vor- und Nachteile der Schiffspassage.
Denn für Konrad war das Meer bisher eine abstrakte Größe gewesen, quasi ein besonders großer See, auf dem man sich statt zu Pferde eben auf Schiffen bewegte. Bloß war es ihm zu Land gegeben, jederzeit vom Pferd zu steigen. Auf der Seereise nach Barcelona würde ihm das nicht möglich sein. Mehr noch: Er musste sein Wohl in die Hände anderer legen und hoffen, dass diese Männer ihn unbeschadet wieder an Land absetzen würden. Ein Umstand, der ihm gar nicht behagte. Isenhart konnte wenigstens schwimmen.
In diesem Licht betrachtet erschienen Konrad die Entbehrungen, die die rund 220 Meilen Landstrecke, die noch vor ihnen lag, bedeuteten, samt einer weiteren Gebirgsüberquerung, nämlich der Pyrenäen, doch recht verlockend.
Isenhart führte ihm den enormen Zeitverlust vor Augen, den sie sich bei der Reise über Land einhandeln würden. »Und außerdem«, schloss er mit begeisterter Stimme, »wann werden wir in unserem Leben wohl noch mal Gelegenheit haben, übers Meer zu reisen?«
Konrad musterte den Freund, entdeckte aber keinerlei Anzeichen einer Täuschung oder gar boshafter Belustigung. Isenhart sah der Passage wirklich mit ungeduldiger Freude entgegen. Wenn also ein Schmied, noch dazu ein kluger, keine Angst vor der Schiffsreise
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