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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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blasser Miene bei Centurión, ob kein Versehen vorlag; was nicht der Fall war – und durch hohe See segelten.
    Der Kapitän wies diesen schmalen, an allem interessierten Burschen namens Isenhart gerade in die Grundlagen der Nautik ein,als der Himmel zuzog. Der Polarstern, von dem Isenhart soeben gelernt hatte, dass er niemals seine Position veränderte und somit den einzig verlässlichen Punkt im Sternenzelt bildete, der ihnen beharrlich den Weg nach Norden wies, wurde von einer rasch aufziehenden Wolkendecke verdeckt, die lediglich Vorbote für ein Gewitter war.
    Das Unwetter näherte sich von Norden und seine Böen würden sie weiter aufs Meer hinausdrücken. Centurión ließ umgehend die Segel einholen und die Ruderer wecken. Als die die Blitze sahen, die in unvorhersehbaren Bahnen aus den Wolken zuckten, brauchte er ihnen nichts mehr zu erklären. Der Kapitän ließ den Bug nach Norden schwenken und gab das Kommando für volle Fahrt. Die Ruderer, von denen jede Schläfrigkeit abgefallen war, legten sich ins Zeug.
    Centurións Plan war es, das Gewitter zu durchqueren. Auf diese Weise würde die Galeere nur die Hälfte jenes Zeitraumes im Unwetter zubringen, den sie im unbewegten Zustand zu ertragen hätten, und mit etwas Glück glichen sich die Strömung und die Ruderkraft der Männer aus, sodass sie am Ende ihre Position gehalten haben würden.
    Die schwarzen Wellen erfassten die Galeere aus einem Winkel von fünfundvierzig Grad auf der Steuerbordseite. Das Schiff mit seinem geringen Tiefgang hatte dem nicht viel entgegenzusetzen und verwandelte sich in ein schwer zu manövrierendes Stück Holz. Regen und Gischt vermischten sich und stoben an Deck, über ihnen grollte der Donner. Eine Welle schoss über die Reling und riss zwei der bewaffneten Genover über Bord. Andrea Centurión konnte aber unmöglich ein Wendemanöver durchführen, um nach ihnen zu suchen, er hätte das Leben aller anderen riskiert. Zudem hätte so ein Vorgehen nur dann die kleinste Aussicht auf Erfolg, wenn die beiden Unglücklichen des Schwimmens mächtig gewesen wären – und das konnten auch in Genova nur die wenigsten – und sie sich schnell genug von ihren Bein- und Brustpanzern hätten befreien können, die sie unter Wasser zogen.
    Unter Zuhilfenahme seines nassen Kompasses, eines magnetischen Metallsplitters auf einem Stück Holz, das wiederum in einer Wasserschale lag – eine brandneue Erfindung –, richtete Centurióndas Schiff nach Nordwesten aus. Auch in dieser Richtung würden sie früher oder später Land erreichen, doch mit dieser Kursänderung verjüngte er den Winkel, mit dem die Wellen dem Schiff zusetzten. Er bot ihnen weniger Angriffsfläche und schmälerte damit das Risiko des Kenterns.
    Isenhart klammerte sich neben Konrad an die Reling, der ein Stoßgebet nach dem anderen in den Nachthimmel schickte, bis er sich an den Span erinnerte, den Vater Hieronymus ihm mit auf die Reise gegeben hatte. Mit der rechten Hand fuhr er in die Tasche seines Wamses und umklammerte das kleine Stück Holz, das ihn schon in Philippopolis vor dem Tod bewahrt hatte. »Herr, schütze uns«, murmelte Konrad und schluckte gegen den Würgereiz an, den der starke Seegang in seiner Kehle verursachte.
    »Und ziiiieeht«, brüllte Andrea Centurión gegen den Sturm an, »und ziiieeht!«
    Mit seinen Rufen gab er den Rudertakt vor, und Isenhart kam nicht umhin, ihn für seine Entschlossenheit zu bewundern. Ohne jede Stütze stand er mittschiffs bei den Ruderern, die ihre hölzernen Blätter in die tosende See senkten und die Galeere gegen den Sturm drückten.
    Der nächste Blitz schlug in die vordere Mastspitze ein, der Donner dehnte ihre Trommelfelle, und das Holz splitterte. Das obere Viertel des Mastes raste hinab und krachte aufs Deck. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Zwar war das Maststück tiefschwarz verkohlt, aber es brach kein Feuer aus. Der Regen, der sich die ganze Zeit über sie ergoss, verdampfte mit einem Zischen, wenn er auf das verkohlte Holz traf. Isenhart hatte wegen seiner Arbeit am Schmiedeofen eine ungefähre Vorstellung davon, was für eine Hitze der Blitz in das Holz getrieben haben musste.
    Dann schwächte der Wind etwas ab, die Wellenberge wurden flacher, der Regen ließ nach. Sie hatten es geschafft, sie waren dem Unwetter entkommen. Kapitän Centurión ließ auf Nord drehen.
    Isenhart erbrach sich ins Meer.
    Nur zwölf Tage später gingen sie im Hafen von Barcelona an einem heißen Julivormittag vor Anker.

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