Isenhart
Meige Schütterkuss nickte.
»Si-mo-ne?«, fragte Konrad gedehnt, »ein Mann, der Simone heißt?«
»Das ist sein Name«, bestätigte die blonde Frau.
Für einen Augenblick fand der Stammhalter sich ratlos vor – was sollte man denn dazu sagen?
»Sein Vater hat ihn wohl gehasst, nicht wahr. Sonst hätte er den Sohn ja nicht mit einem Weibsnamen dem Gespött ausgesetzt.«
»In Birizona ist das kein Name für ein Weib«, berichtigte Meige ihn.
»Muss ja eine merkwürdige Gegend sein«, stellte Konrad fest.
Anfang Mai, der Monat, zu dem Urs ihnen von Anfang an geraten hatte, empfing der Etzelübergang sie in saftigem Grün, und obwohl der Klausenpass an seiner höchsten Stelle noch mit einer dünnen Schneeschicht aufwartete, war dieser Aufstieg im Vergleich zu den vorangegangenen Versuchen ein Leichtes.
In der Hütte, die sich auf dem Scheitelpunkt des Passes befand, schlugen sie wie geplant ihr Nachtlager auf. Am nächsten Morgen beschrieb Urs ihnen die weitere Strecke und machte sich dann auf den Rückweg, nicht ohne vorher für seine Dienste großzügig belohnt zu werden.
Die weitere Reise gestaltete sich beschwerlich, aber nicht unmöglich, auch wenn es manchmal schien, als wollte das Massiv kein Ende mehr nehmen. Hinter jeder Wegbiegung erhob sich ein weiterer Berg, den es zu umgehen galt. Die höchsten von ihnen trugen schneebedeckte Gipfel. Am Vogelberg, in über 6000 Fuß Höhe, wurden Konrad und Isenhart von Kopfschmerzen heimgesucht, die aber wieder abklangen, je weiter der Pass sie zurück in die Tiefe führte.
Ende Mai, an einem wohltuend warmen Frühsommertag, entdeckten sie Schafe und fielen sich vor lauter Freude in die Arme. Ihre Gesichter waren von ihren Bärten halb verdeckt, ihre Haut von der Sonne verbrannt und sie stanken zum Himmel.
Eine knappe Meile weiter stießen sie auf eine kleine Bauernsiedlung, die sich Birizona nannte. Die Bewohner dort waren freundlich und augenscheinlich an die Ankunft von Alpenüberquerern gewohnt. Mit dem Versorgen solcher Reisender, die über die Pässe kamen, verdienten sie sich ein kleines Zubrot.
Dass Isenhart und Konrad sich weitab ihrer Heimat befanden, wurde ihnen stets aufs Neue ins Gedächtnis gerufen, sobald sie sichmit den Bauern unterhielten. Das erste Mal seit dem Lesen von Schriftstücken kam hier ihre Bildung zum praktischen Zug: Sie waren in der Lage, auf das erlernte Latein zurückzugreifen, ansonsten wäre die Kommunikation auf eine pantomimische beschränkt geblieben.
Tatsächlich trafen sie auf Simone Canzano, einen Mann mit einem Vollbart, den, so Konrads Vermutung, er sich stehen ließ, um die Wirkung seines Vornamens auszugleichen.
Anstandslos und wie von Meige Schütterkuss aus Luceria prophezeit, hielt Simone sich an die Abmachung, indem er ihnen den Gegenwert für das in Luceria ausgestellte Dokument in Denaren ausbezahlte, eine Währung, die sie nicht kannten. Obschon Alexander von Westheim sie wohl mal erwähnt hatte.
Und als Simone sie mit Ziegenkäse und Brot und Wein versorgte, schwand auch Konrads Skepsis.
Mithilfe ihrer Kenntnisse in Latein erhielten sie recht genaue Angaben für ihre weitere Reise nach Milano, wo man Konrad nach einer Meinungsverschiedenheit mit zwei Einheimischen in Ketten legte. Isenhart appellierte mit einer Handvoll Denare an die Milde der Verantwortlichen. Auf dieser Grundlage klärte er das Missverständnis auf, das sich zwischen Konrad auf der einen und zwei Einwohnern auf der anderen Seite ereignet hatte. Während diese ein paar lobende Worte für sein Kettenhemd fanden – Isenhart fühlte sich geehrt –, verstand der junge von Laurin, dass die beiden ihn als Hure bezeichneten. Selbstverständlich durfte das nicht ungesühnt bleiben. Und in Ermangelung einer angemessenen verbalen Replik – er hätte dem Unterricht früher doch aufmerksamer folgen sollen – verprügelte er sie einfach.
Doch statt sich bei Isenhart dafür zu bedanken, dass der ihn aus dem Verlies holte und möglicherweise noch vor Schlimmerem bewahrte, war Konrad gekränkt.
»Du hast mich als Kretin dargestellt«, warf er ihm vor.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, verteidigte Isenhart sich.
Eine passende Antwort fiel Konrad von Laurin darauf leider nicht ein, was seinen Zorn weiter anschwellen ließ. Er maulte bis kurz vor Genova.
Die Alpen waren Isenhart als Prüfung seiner Selbstdisziplin und Entschlossenheit vorgekommen. Die echte Prüfung, fand er nun heraus, bestand darin, mit einem ungenießbar schlecht
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