Isenhart
zurück, »das ist Mumpitz.«
»Mumpitz? Woher willst du das wissen?«
»Na rat mal«, gab Konrad zurück und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.
Isenhart betrachtete für einige Momente Konrads nackten Rücken, die Strukturen der Muskeln, Schulterblätter und Wirbel, deren Konturen im Schein der Öllampe deutlich hervortraten. Die Stelle in Höhe der linken Hüfte, an der der Speer Rogier van Heydens durch Muskeln und Haut gestoßen war. Konrad lachte noch einmal leise gegen die Wand, anschließend wurde sein Atem gleichmäßig.
Bei der erneuten Betrachtung jener Botschaft, die Sydal von Friedberg an seinen Sohn gerichtet hatte, wollte sich bei Isenhart immer noch keine Erleuchtung einstellen. Er war sich darüber im Klaren,nicht mal ein Tausendstel der Buchstabenverschiebungen überprüft zu haben, die überhaupt möglich waren. Trotzdem war er davon überzeugt, dass sein Vater ein anderes Verfahren gewählt haben musste.
Einen Text einer Verfremdung zu unterziehen, die ihn für Dritte als Mysterium erscheinen ließ, bedurfte keiner großen Mühe oder Fertigkeit. Den Text aber so zu codieren, dass seine Bedeutung unter den Augen vieler unentdeckt blieb und erst für den beabsichtigten Empfänger seinen eigentlichen Sinn offenbarte, darin bestand die Kunst der Verschlüsselung.
Und an diese Notwendigkeit knüpfte Isenhart seine Überlegungen an. Wollte Sydal von Friedberg sichergehen, dass Isenhart seine Zeilen enträtseln konnte, musste er einen Schlüssel wählen, von dem er annahm, ja wusste, Isenhart werde ihn finden. Da sie beide einander nie bewusst begegnet waren und Sydal nicht die geringste Kenntnis von dem hatte, was in Isenharts Leben eine Rolle spielte, ergab sich im Grunde keinerlei Schnittmenge gemeinsamer Erfahrungen, die bei der Auswahl eines Schlüssels dienlich gewesen wäre.
Es gibt nichts Zwingenderes als die Logik, rief Isenhart sich Walthers Worte wieder ins Gedächtnis.
Logisch war, dass er vor der Aufgabe der Entschlüsselung nur dann stehen konnte, wenn er die Puente erreicht, mit Ibn Khamud gesprochen und von den Gelehrten auf dem Basar des Wissens schon einiges erfahren hatte. Dies hatte Sydal von Friedberg bei der Wahl eines geeigneten Schlüssels vermutlich vorausgesetzt. Außerdem Isenharts Wissen über Sydals Vaterschaft, denn ansonsten hätte er sich kaum auf den weiten Weg gemacht.
Isenhart betrachtete die stets identische Wortlänge von sieben Buchstaben. Diese Wahl hatte sein Vater nicht zufällig getroffen. Er musste ein Wort mit sieben Buchstaben finden, dessen Kenntnis Sydal von Friedberg bei seinem Sohn als gesichert betrachtet hatte. Ibn Sina war so ein Begriff, der aus sieben Buchstaben bestand. Aber in welcher Weise mochte von Friedberg ihn angewandt haben?
Mit sieben Schriftzeichen ließen sich die 23 Buchstaben des Alphabets nicht darstellen. Also, folgerte Isenhart, konnte eineeinzelne Letter des Schlüssels einem Buchstaben keine exakte Position in einem Text zuweisen. Denn dazu hätte jeder Buchstabe des Schlüssels ja jeweils seinen Wert, also seine Position innerhalb des Alphabets, verändern müssen. Aber Buchstaben änderten nicht selbstständig ihre Position oder ihren Wert, wie Isenhart im Geist feststellte. Menschen taten das.
Sofern Ibn Sina also das Wort war, mit dem sich die Zeilen seines Vaters in eine verständliche Sprache transformieren ließ, musste es eine mathematische Herleitung geben. Eine, die für einen Außenstehenden wie Isenhart nachvollziehbar war.
Mathematisch sich in der Welt der Ziffern zu bewegen, und zwar in den neun Ziffern der Inder (plus der Null), ebnete ihm den entscheidenden Schritt. Der Name Ibn Sina ergab, ersetzte man sie durch ihre Position im Alphabet, die Zahlenfolge 9-2-13-18-9-13-1.
Sieben Ziffern. Isenhart spannte sich, er spürte, dies war die richtige Fährte.
Wenn sein Vater die Buchstaben des Ursprungswortes mit der Ziffernfolge der Inder nach vorne versetzt hatte, musste Isenhart die Buchstaben des ersten Wortes Xqxoxfv jeweils um die Werte 9-2-13-18-9-13-1 zurücksetzen. Das ergab Mqitrrx. Hatte er sie zurückgesetzt, musste Isenhart sie um die Ziffernwerte wieder nach vorne versetzen: Ekggsx.
Das Ergebnis entmutigte ihn nicht, es zeigte Isenhart nur, dass er sich für den falschen Schlüssel entschieden hatte. Toledo und Doryläum schieden mit sechs und acht Buchstaben aus, Walther ergab sowohl nach vorne wie nach hinten versetzt keinen sinnvollen Begriff, ebenso wie Michael (von Bremen).
Ibn Al-Hariq
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