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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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gekostet hatten.
    »Oha«, sagte ein schmal wirkender Jude.
    »Allerhand«, schloss sich ein Araber an.
    »Zwölf Stück«, betonte ein anderer Mann anerkennend.
    Doch Isenharts kleine Angeberei war nicht von langer Wirkung. Der Araber wandte sich an seinen Nachbarn: »Avicenna hat nur ein Wesen beschrieben, in dem Seele und Körper eines sind.«
    »Gott«, erwiderte der Angesprochene, ein Mann aus Poitiers.
    »Ihr meint Allah«, bemerkte der Araber mit leichter Ironie, und schon wandte sich die Aufmerksamkeit der anderen von Isenhart ab, und sie widmeten sich Avicennas Abhandlung über die Negierung der Unsterblichkeit der Seele. Isenhart hatte keinen blassen Schimmer, wovon die Rede war, aber ihm entging keinesfalls die Aufgeregtheit, mit der die Gelehrten darüber debattierten.
    »Avicenna hat in diesem Punkt geirrt«, wiederholte der Mann aus Poitiers mehrmals.
    »Wenn das der Fall ist, solltet Ihr uns nicht vorenthalten, worin Ibn Sinas Irrtum besteht«, wurde dem Poitevin entgegnet.
    Das erste Mal an diesem Tag ließen die Gelehrten alle sachliche Zurückhaltung fahren, die Gemüter erhitzten sich schlagartig. Dem Diskurs vermochte Isenhart nicht zu folgen, dazu fehlten ihm die Grundlagen, etwa die Kenntnis von Avicennas Schriften, aber ihm stieg die Schamesröte ins Gesicht, als er im Zuge der Debatte erfuhr, dass zu dieser Zeit im maurisch kontrollierten Córdoba angeblich an die fünfhunderttausend Bücher für jeden frei zugänglich waren (so viele Werke, wie die Stadt Einwohner beherbergte) – eine Zahl, die Isenhart sich kaum richtig vorstellen konnte.
    Er begriff auf der Stelle, wie er sich mit seiner Bemerkung über die zwölf Bände in Walthers Bibliothek zum Narren gemacht hatte.Und konnte nachvollziehen, wie es Konrad in seiner und Hennings Gesellschaft oftmals ergangen sein musste.
    Also hielt er für den Rest des Tages den Mund geschlossen und die Ohren weit offen.
    Am Nachmittag sagte ein jüdischer Gelehrter, es werde bald regnen. Die meisten schauten zu einer bestimmten Stelle im Hof und nickten. Eine Viertelstunde später entlud sich ein Platzregen über der Puente. Der Basar wechselte in den unteren Teil des Gasthauses, der aus einem einzigen großen Raum bestand. Kurz kam es zu einem Gedränge, das Isenhart dazu nutzte, den Juden zu fragen, wie er den Wetterumschwung so präzise hatte vorhersagen können. War es ihm möglicherweise als eine Art Talent in die Wiege gelegt worden? Oder verfügte er über eine besonders ausgeprägte Wetterfühligkeit? Oder gab es dafür einfach gar keine Erklärung?
    Der Jude lächelte, er besaß sehr helle und blaue Augen. Er war von noch schmalerer Gestalt als Isenhart und auch kleiner. Sein Name war Benjamin, wie er sagte. Arme, Beine, selbst die Proportionen seines Gesichts und auch sein Schädel selbst erschienen dem Betrachter verkleinert und fein. Beinahe zerbrechlich. Dieser Eindruck wurde durch seine helle und klare Stimme abgerundet.
    »Es gibt immer für alles eine Erklärung«, antwortete er ruhig, »die Frage ist nur, ob wir schon reif genug für die Erklärung sind. Denkt Ihr, ich stehe mit Geistern in Kontakt, die mir das Wetter der Zukunft einflüstern?« Er klang belustigt.
    Isenhart wollte sich von der leisen Ironie nicht verspottet fühlen, also deutete er ein Kopfschütteln an und lächelte.
    Daraufhin zeigte Benjamin hinaus in den Hof, exakt auf die Stelle, auf die die meisten Gelehrten nach der Ankündigung des Wetterumschwungs geblickt hatten. »Seht Ihr das goldene Gewächs dort vor der Mauer?«
    Es handelte sich um eine kurzstielige Pflanze, die von einer goldenen Blüte gekrönt wurde – und doch war es nur eine Distel. Isenhart nickte.
    »Das ist eine Golddistel«, erklärte Benjamin ihm, »wenn die Distel ihre Blätter zusammenzieht, gibt es Regen. Ihre Blätter zeigen das genauso verlässlich an wie die der Silberdistel.«
    Ein einfaches Stück Unkraut, das war die ganze Erklärung.
    Benjamin schmunzelte. »Seid Ihr das erste Mal in der Puente?«
    »Ja.«
    »Gefällt Euch, was Ihr erlebt?«, fragte Benjamin.
    Isenhart zögerte, er überlegte, ob er seinen Gedanken das Zaumzeug anlegen sollte, bevor er sie aussprach, entschied sich dann aber dagegen: »Ich fürchte, ich bringe nicht genug mit, um Teil dieses Zirkels zu sein. Und gleichzeitig möchte ich nichts lieber als das.«
    Benjamins Lächeln verlor sich, er legte Isenhart die kleine, feingliedrige Hand auf den Unterarm: »Das geht jedem so, der das erste Mal die Puente

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