Isenhart
um das Präfix des Sohnes erleichtert – Ibn –, wies ebenfalls sieben Buchstaben auf. Al-Hariq. Mit der Ziffernfolge 1-11-8-1-17-9-16.
Angewandt auf das erste Wort führte der Schlüssel zu W-e-n-n-d-u-d. Im Gegensatz zu den anderen Lösungen, die Isenhart bisher erschlossen hatte, ergab sich erstmals eine sinnvolle Kombination aus Vokalen und Konsonanten. Daher fuhr Isenhart mit den nächsten beiden Worten fort: i-e-s-e-z-e-i-l-e-n-l-i-e-s.
Mit »Al-Hariq« als Schlüssel lauteten die ersten Worte: Wenn du diese Zeilen liest.
Isenhart erstarrte. Er hatte den richtigen Schlüssel entdeckt!
Die Nachricht des Seelensammlers lautete: »Wenn du diese Zeilen liest, hast du die erste Stufe der Erkenntnis erklommen. Walther von Ascisberg – der ein Auge auf deinen Werdegang gehabt haben wird – hat mich im Frühjahr 1172 gestellt, da warst du wenige Monate alt. Er ließ mich unter der Bedingung am Leben, dass ich keinen Fuß mehr ins Heilige Römische Reich setze, meinen Taten abschwöre und dich niemals aufsuchen werde. Ich sollte im Gedächtnis jener, die von mir wussten, tot sein.«
Isenhart blickte auf. Sein Vater hatte also noch gelebt vor zwei Jahre. Er war hier gewesen, hier in der Puente. Und Walther von Ascisberg – warum mochte er Sydal von Friedberg, den er ganz offensichtlich quer durch Europa verfolgt hatte, letzten Endes doch verschont haben?
Isenhart versetzte die weiteren Buchstaben durch den korrekten Schlüssel an ihre ursprüngliche Position im Alphabet, die nun nach und nach Worte bildeten: »Ich habe in diesen Pakt eingewilligt und mein Wort gehalten. Ich habe keinen Menschen mehr getötet, mein Leben in Konstantinopel und Aleppo zugebracht und dich nicht aufgesucht. Diese Zeilen hinterlasse ich dir, damit du weißt, warum ich getötet habe.
Ich habe die reinsten Seelen aus ihren körperlichen Verliesen befreit, weil die reinen Seelen Gott schauen werden und sie ganz sicher emporfahren. Ich habe getötet, um die Seele zu erforschen. Getötet, um den Weg zum Schöpfer zu erkunden. Ich habe ihm die reinsten Seelen gesandt, um ihn zu erfreuen. Und für all das hatte ich nur einen Beweggrund: meinen unstillbaren Trieb nach Erkenntnis.«
Hier hielt Isenhart mit der Entzifferung kurz inne. Walther von Ascisberg hatte ihn vor seiner Abreise nach Toledo gefragt, ob er manchmal etwas Fremdes in sich spüre, etwas, was nicht zu ihm gehörte. Wahrheitsgemäß hatte er dieses verneint. Denn das, was er in sich spürte, war ihm nicht fremd . Der unstillbare Trieb nach Erkenntnis – den kannte er nur allzu gut. Und hätte von Ascisberg das Empfinden dieses Triebs für sich verleugnet, hätte er gelogen. Dieser Trieb stachelte auch seinen Mentor an. Die Frage nach dem Warum. Nach dem Wesen des Seins. Dem Miteinander der Elemente.
Möglicherweise hatte Walther von Ascisberg in diesem Trieb, der Sydal von Friedberg auch vor Mord nicht zurückschrecken ließ, einen Teil seines Selbst erkannt. Und ihn deshalb am Ende geschont.
Wie auch immer: Nach ihrer Rückkehr würde Isenhart zuallererst nach Tutenhoven reiten und ein langes Gespräch mit seinem alten Lehrer führen.
»Nun weißt du von meinem Antrieb und magst dir dein eigenes Urteil bilden. Wir werden einander in diesem Leben nicht mehr treffen – es sei denn, Walther entbindet mich meines Schwurs.«
In Isenharts Kehle hatte sich ein Kloß gebildete. Er wendete das Pergament, aber er entdeckte keine weiteren Schriftzeichen.
Es sei denn, Walther entbindet mich meines Schwurs – so endete die Nachricht Sydals von Friedberg an seinen Sohn.
Obwohl sein Vater Jungfrauen ermordet und ihnen das Herz genommen hatte, empfand Isenhart bei aller – gebotenen – Abscheu doch Neugierde. Gerne hätte er diesen Mann getroffen, der ihn abstieß und dessen Konsequenz ihn, er mochte es sich kaum eingestehen, mitunter faszinierte. Sydal hatte keine Grenzen gelten lassen – nur das Wort, das er Walther von Ascisberg gegeben hatte.
Aber über etwas Entscheidendes hatte Sydal von Friedberg sich in seiner Nachricht an ihn ausgeschwiegen. Kein Wort darüber, welche Erkenntnisse er über die menschliche Seele gewonnen hatte.
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27.
m Morgen hatte Isenhart im Halbschlaf das Hufgetrappel von vier oder fünf Pferden wahrgenommen, die vor dem Haupttor zum Stehen kamen.
Eine Stunde später – die Ankunft der Berittenen hatte er längst vergessen – befand er sich an Konrads Seite auf dem Weg zum Basar, als Benjamin und der Mann aus Poitiers
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