Isenhart
orales Eindringen, das darüber hinaus dazu angetan war, Ennlin vor einer Schwangerschaft zu bewahren.
Denn zum einen lagen unten in den Katakomben bereits genug winzige Skelette mit Frakturen in den Schädeln, zum anderen war der Prior sich sehr wohl seiner Pflicht bewusst, Maximilian von Grundauf eine Jungfrau zu übergeben, sofern Ennlin genesen sollte, was Thiemo selbstverständlich bezweifelte. Jeder Mensch, der noch alle Sinne beisammenhatte, konnte mit einem einzigen Blick feststellen, dass das Kind nicht mehr zu retten war.
Der Knochenfraß nahm ihrem Antlitz die Strukturen, es verzerrte sich wie ein Spiegelbild im See, in den jemand einen Kieselstein geworfen hatte.
Und natürlich war die Enthaltsamkeit kompletter Unsinn, wie Vater Thiemo für sich feststellte, eine Idealvorstellung, die an der Wirklichkeit scheitern musste, die lauter heimliche, gewaltvolle Übergriffe an Schwächeren mit sich brachte, so wie auch er selbst sich nahm, wonach es ihm gelüstete. Ansonsten hätte er Ennlin vor den Augen der Welt zu seiner Frau machen können, wenigstens zu seiner Konkubine. Er hätte sie nach Gutdünken und nach Strich und Faden fegeln können, statt diese unwürdige Heimlichtuerei praktizieren zu müssen, die schließlich auch dem Mädchen beständig signalisierte, etwas Unrechtes zu tun.
Von einer Ausnutzung seiner Machtstellung, fand Vater Thiemo, konnte man selbst als boshafter Mensch nicht sprechen. Denn er empfand Mitleid mit dem armen Ding, dem seine Sünden das Gesicht vernichteten. Deshalb schenkte er ihr manchmal etwas, gleich nachdem er sich erleichtert hatte, einen halben Apfel etwa oder ein gütiges Wort.
Anna und Sophia durften sie einmal besuchen. Ennlin trug das unscheinbare Leinen des Benediktinerordens, man hatte ihr die Haare geschoren, um den Läusen Einhalt zu gebieten.
Sophia hatte der frischgebackenen Nonne eine Wiesenblume mitgebracht, die Vater Thiemo umgehend an einen Esel verfütterte. »Schwester Ennlin soll sich nicht an so viel ungehöriger Buntheit ergötzen«, maßregelte er Sophia.
Abgesehen von den Entstellungen, die über ihre ehemals tadellose Haut wucherten, spürten die Schwestern Laurin eine dumpfe, uferlose Traurigkeit, die Ennlin ausstrahlte.
»Ist Vater Thiemo gut zu dir?«, fragte Sophia.
»Er ist der Antichrist«, wisperte Ennlin mit heiserer Stimme.
Die Überzeugung in ihrem Blick und in ihrer Stimme jagte den beiden Mädchen Schauer über den Rücken.
Plötzlich wurde ihre Miene weich. »Nehmt mich mit, bitte. Nehmt mich mit. Weg von hier. Dieser Ort ist die Verdammnis zu Lebzeiten.«
»Aber dein Vater …«, begann Anna.
»Weiß nichts von dem, was hier vor sich geht«, unterbrach Ennlin. Bittere Tränen waren über ihre verwachsene Miene gelaufen.
Isenhart, der sich immer noch bemühte, flach zu atmen, und auch sonst jeden Hinweis auf seine Anwesenheit vermied, erinnerte sich an diesen Besuchstag. Die Schwestern hatten Ennlin aus dem Kloster nach Hause bringen wollen, begegneten am Tor aber just Maximilian von Grundauf. Der zeigte sich unempfänglich für die Bitten seiner Tochter, schalt sie eine Lügnerin, als die die Verfehlungen von Vater Thiemo beim Namen nannte, und prügelte sie blutig, sodass Thiemo seine schützende Hand über Maximilians Tochter halten musste, um sie vor ernsthaften Verletzungen zu bewahren. Kaum waren der leibliche Vater und die Freundinnen verschwunden, wusch er sie zärtlich, und in dieser Nacht verging er sich nicht an ihr – Vorfreude ist die schönste Freude.
Die Geschehnisse bescherten den Schwestern Laurin heftige Albträume. Sie tauschten sich nicht darüber aus, denn es war unnötig: Nie wieder, darüber herrschte Einvernehmen, würden sie Ennlin von Grundauf besuchen.
Aber dieser Vorsatz und der Schrecken der Albdrücke hielt bei Sophia nur vier Monate an. Dann suchte sie die Freundin, aus deren Augen der Witz und der Charme gefunkelt hatten, die von Mann und Frau so begehrt worden war – Anna und Sophia hatten immer so werden wollen wie sie –, erneut auf.
Zu ihrer Verwunderung führte eine Nonne sie aus dem Kloster hinaus, dessen Mauer in unregelmäßigen Abständen mit Auswölbungen versehen war. Außenräume, wie Sophia begriff, als sie sich näherten, um die man die Anlage im Nachhinein ergänzt hatte.
»Sie ist eine Inklusin geworden«, offenbarte die Nonne Sophia und erntete ein irritiertes Aufblicken. »Ennlin hat sich von denirdischen Versuchungen abgewandt, um in der Vereinigung mit unserem
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