Isenhart
Walther von Ascisberg sie am gestrigen Nachmittag gelehrt hatte, weswegen sein heimlicher Blick jederzeit von Anna von Laurin hätte erwidert werden können; welch eine Schmach, wenn sie ihn entdeckt hätte! – und er daher nur mehr Zeuge der Worte der Schwestern wurde. Isenhart lauschte ihnen bei geschlossenen Augen, weil er annahm, Annas Bild so länger bewahren zu können.
»Ich will niemals so werden wie Ennlin«, wiederholte Sophia.
»Hast du von ihr geträumt?«, hörte er Anna fragen. Offensichtlich schenkte sie dem wirren Zeug, das ihre jüngere Schwester, dieser kleine Trampel, hin und wieder von sich gab, ernstliche Beachtung.
Anscheinend wich Sophia einer Antwort aus.
»Hast du etwas von Ennlin geträumt?«
»Nein, ich habe sie besucht.«
»Und?«
»Und sie ist jetzt eine Inkluse.«
Stille.
»Nein.« Das war Annas Stimme, und das Entsetzen darin war echt.
Isenhart rief sich ins Gedächtnis, was er von Ennlin von Grundauf wusste. Sie war Dolphs ältere Schwester und bis zu ihrem zwölften Lebensjahr ein echter Sonnenschein. Vorwitzig und blitzgescheit, selbstbewusst und von geradezu unheimlicher Schönheit.
Ihr Äußeres ließ gestandene Männer in die Knie gehen und peinliche Lyrik zu Pergament bringen oder schlicht sinnloses Gestammel über ihre Lippen plätschern lassen. Sie war das größte Pfund des Hauses von Grundauf, ihr Vater Maximilian plante mit Ennlins Verheiratung in die Dynastie der Staufer vordringen zu können, jenem Geschlecht, das die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches bestimmte.
Sigimund und seine Familie waren bei den von Grundaufs sehr geschätzt, obwohl dieser Fürst mit kleinem Land und wertvollen Weinbergen keinerlei Ambitionen zeigte, mit den Staufern, Saliern oder Welfen nähere Beziehungen einzugehen. Sigimund strebte nicht nach höheren Weihen, nach der Anerkennung des Adels, er war ein sehr genügsamer Mann, was dies betraf.
Eine Vermählung Ennlins mit Konrad wäre beispielsweise undenkbar gewesen. Es hätte den Status des Hauses von Grundauf keinen Deut verbessert.
Doch all die hochfliegenden Pläne Maximilians sollten alsbald auf dem harten, unnachsichtigen Grund der Wirklichkeit zerschellen. Zuerst tauchten punktuelle Hautrötungen in Ennlins Gesicht auf. Die Medici gaben sich das Türeisen in die Hand. Sie behandelten das arme Kind mit Kräutern, rieben Ennlins Gesicht mit Schnecken ein oder gestoßenem Blindschleichenmus, und selbstverständlich wurdesie auch kräftig zur Ader gelassen, als alle medizinischen Maßnahmen scheiterten und der Verlust der Schönheit ihren Lauf nahm.
Die Hautveränderungen ähnelten alsbald kleinen Verstümmelungen, wie sie von Bissen wilder Tiere herrührten. Den einzigen Ausweg schien ihnen der Prior eines nahe gelegenen Frauenklosters zu weisen, sein Name war Thiemo. Er nahm die Tochter Maximilians von Grundauf ins Gebet, was allerdings zu keiner Verbesserung ihres Zustandes führte.
»Ennlin muss schwer gesündigt haben«, stellte Vater Thiemo daher fest.
»Aber sie ist unberührt«, widersprach Maximilian von Grundauf vorsichtig.
Thiemo warf ihm einen langen Blick zu, in dem sich Überheblichkeit und Langeweile die Waage hielten. »Man kann sich auch im Geiste gegen Gott versündigen«, belehrte der Prior Maximilian daraufhin, »vielleicht hatte sie unkeusche Gedanken, ganz bestimmt sogar. Was aber ihre Stigmata nicht erklärt. Ich sehe nur eine Möglichkeit, dem armen Wesen zu helfen. Ennlin muss Jesu in die Arme schließen.«
Maximilian von Grundauf zögerte nicht lange. Ennlin war in politischer Hinsicht ein Stück totes Fleisch auf zwei Beinen. Daher blieb ihr ohnehin nur ein Leben als Nonne. Und vielleicht verzieh der Herrgott ihr die Sünden, die sie im Geiste begangen hatte. Vielleicht gingen die Entstellungen zurück, und er konnte sich mittels seiner Tochter eben zu einem späteren Zeitpunkt Zutritt zum Haus der einflussreichen Staufer erkaufen.
Also stimmte er zu, und noch am selben Tag nahm Thiemo das Mädchen in seine Obhut.
Schnell erlernte Ennlin von den älteren Nonnen ihre Aufgaben und Pflichten, das Beten der Horen und Psalmen und – man riet es ihr wegen der Strafe, die Gott ihr auferlegt hatte – die Kasteiung mit einem ledernen Riemen, der mit Nägeln durchsetzt war und befreiende Löcher auf ihrem Rücken hinterließ. Und Vater Thiemo lehrte sie in den Nachtstunden, dass manche göttliche Freude sich erst offenbarte, wenn man sie oft genug genossen hatte, so auch sein rektales und
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