Isenhart
nicht ab, denn sie waren nun mal Allesfresser, und wenn er an die Reise dachte, die er mit Konrad hinter sich gebracht hatte, dann hatten Regenwürmer, Käfer, Blindschleichen, Spinnen und andere Insekten nicht nur ihren Weg gekreuzt, sondern auch ihren Speiseplan bereichert. Und wer wusste, ob Kolkraben nicht auch Ekel zu empfinden in der Lage waren?
Sie passierten die Trauerweide, an deren Stamm sich Walther und Konrad vor Jahren über die Möglichkeiten unterhalten hatten, wie an Wilbrand von Mulenbrunnen Rache geübt werden konnte.
Und nun waren sie beide nicht mehr, Wilbrand und auch Walther nicht.
Isenhart stoppte. Vor ihm lag Heiligster. Das Haupt- und das Nebengebäude. Die Scheune und der Kanal, den er angelegt hatte. Ein helles Lachen erhob sich und drang bis zu ihm hinauf. Es stammte von Marie. Sie stand vor dem Nebengebäude und sah dabei zu, wie Konrad mit seinem Sohn, dessen ängstliches Quäken ebenfalls bis zur Trauerweide schallte, im Kanal badete.
»Alles in Butter, Sigimund«, hörte Isenhart.
Da wurde ihm warm ums Herz, und doch spürte er die Lücke in Heiligster, die er im ersten Moment nicht zu benennen wusste. Bis sein Blick auf den Hühnerstall fiel, der unbewohnt war.
»Henrick und Ursel haben sich auf den Weg über die Seidenstraße gemacht«, berichtete Marie. Sie hatte in der Schwangerschaft etwas zugelegt. Hieronymus, der langsam ergraute, nickte. Er war mit seiner Kleidung etwas nachlässig geworden, Mottenlöcher bildeten ein interessantes Muster auf seinem Rücken.
»Cochins«, vermutete Isenhart.
Sie saßen vor dem Nebengebäude und aßen frischen Fisch, während Konrad sich mit seinem Sohn beschäftigte. Er trug ihn an eine Stelle, setzte ihn dort ab und lief fünf Pferdelängen weg, wo er in die Hocke ging und seinen Sprössling anstrahlte. »Komm her, du Knirps!«, rief er ihm zu.
Und prompt watschelte der kleine Sigimund auf seinen Vater zu. Wenn einer der Kolkraben dabei zu knapp an ihm vorbeiflatterte und ihn erschreckte, beruhigte Konrad ihn: »Alles in Butter. Die tun dir nichts.«
»Ja«, ging Vater Hieronymus auf Isenharts Vermutung ein, »sie gingen im Frühjahr.«
Er schüttelte leicht den Kopf, in seinem Blick lag Betrübnis, die Isenhart teilte. Henrick war nicht sein Bruder, aber die gemeinsame Kindheit wog letztlich schwerer als die Information, mit der Chlodio ihn vor seinem Tod konfrontiert hatte.
Die Cochins stammten aus China, wenn Alexander von Westheim sie nicht belogen hatte. Isenhart hatte keine Vorstellung davon, wie entsetzlich weit der Weg bis dorthin war, mit Sicherheit aber ein Vielfaches der Strecke nach Toledo. Etwas, da war er sich sicher, was Henrick nicht wusste.
»Er hat immer Dusel gehabt«, sagte Marie zuversichtlich. Sie hatte erfasst, dass Isenhart und Hieronymus sich stumm um das Schicksal der beiden sorgten.
Tatsächlich brachte Marie Isenhart zum Schmunzeln. Henrick hatte die Kindheit unter Chlodio überlebt, sich erfolgreich um die Arbeit am Ofen gedrückt, er hatte den Kampf um die Burg und ihre Flucht nach Heiligster ohne den kleinsten Kratzer hinter sichgebracht. Er musste wahrlich keine Furcht vor der Seidenstraße haben, sprach Isenhart sich selbst Zuversicht zu.
Gweg landete auf seiner Schulter. »Amen.«
Seit seiner Rückkehr wich ihm der Vogel kaum von der Seite, im Grunde wechselte er ständig zwischen Konrad – der inzwischen auch stoppelkurze Haare trug – und ihm.
»Sieht aus, als hätte er euch vermisst«, stellte Marie fest.
Isenhart nickte. Tatsächlich aber erinnerte Gweg sich vor allem an die gemeinsamen Jagdausflüge mit den beiden Männern, die meist zu einem erklecklichen Mahl geführt hatten. Und die er gerne wieder aufnehmen würde, denn er war zwar in der Lage, zusammen mit Dolph einem Wildschwein mit kleinen Wettbewerben – etwa, wer von beiden länger auf dem Rücken eines Ebers zu reiten vermochte – auf die Nerven zu fallen; erlegen konnte er es indessen nicht.
Marie musterte Isenhart von der Seite. »Nun weißt du, wie es uns hier ergangen ist. Hieronymus und mir. Und den Raben. Henrick und Ursel. Vater, hab ich jemanden vergessen?«
Hieronymus begriff das kleine Spiel, das Marie mit Isenhart trieb. Langsam senkten und hoben sich seine Augenlider einmal, bevor er antwortete: »Gab es da nicht jemanden mit roten Haaren?«
»Rote Haare?«, fragte Marie.
»Ja«, fuhr der Geistliche fort, »und grüne Augen.«
»Doch, Ihr habt recht. Ich komme bloß nicht auf den Namen.«
»Er endete
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