Isenhart
»niemals.«
»Niemals«, antwortete Sophia.
»Lass uns schwören«, flüsterte Anna.
»Dass wir niemals Nonnen werden?«, fragte Sophia.
»Ja. Und dass wir uns gegenseitig schützen.«
»Du lässt nicht zu, dass Vater mich ins Kloster schickt.«
»Und du nicht, dass er es mir auferlegt.«
»Nein.«
»Gut, dann lass uns schwören. Schwören beim Leben unserer Mutter.«
Und so hatten sie ihren Eid geschworen mit dem tiefen Ernst zweier Kinder, von dem eines der beiden gerade die kindliche Hülle abgestreift hatte wie eine zu enge Haut. Sie hatten feierlich gelobt, lieber in den Tod zu gehen, als eine Nonne zu werden.
Der schmale Pfad flog unter Isenhart dahin, er rannte zwischen den Bäumen und Sträuchern entlang zum Rhein. Es war der übliche Weg von Heiligster zum Fluss, immer am Kanal entlang. Er lief nicht, er hetzte, er stürzte vorwärts, als säße ihm der Teufel persönlich im Nacken.
Ohne das Tempo zu vermindern, warf er sich in den Rhein, schwamm gegen den Strom, seine Arme schossen vor, angewinkelt tauchten sie ein, in einem Kräfte verschleudernden Stakkato ließ er sie das Flusswasser durchpflügen, bis er ans gegenüberliegende Ufer gelangte.
Der Platz, an dem er mit Sophia gesessen hatte. Aber Isenhart hielt nicht inne, er sprintete weiter, lief durch feinen Sand, schlug sich ins Unterholz, wich Ästen und Zweigen aus und spürte endlich, wie seine Lunge zu brennen begann, wie Nadelstiche ihm in die Seiten fuhren. Doch er gestattete sich kein Nachgeben, nein, er erhöhte vielmehr seine Schrittzahl, er preschte voran, weiterund weiter, bis er den Knorrigen Alten erreichte und seine Beine schwungvoll bergan warf.
Isenhart stürmte hinauf, und wie er damals in der Nacht der Erstürmung der Burg Laurin an der Glems nach dem Sturz dem aufpeitschenden Schmerz in seinem Kniegelenk befohlen hatte, nicht zu sein, versagte er auch jetzt dem hämmernden Herz das Versagen und fegte die Versteinerung seiner Waden mit purer Willensanstrengung beiseite.
Vielleicht hätte Isenhart innegehalten, wenn ihm zu Bewusstsein gekommen wäre, dass in diesem Augenblick niemand auf Gottes Erde existierte, der seinen Willen hätte brechen können. Niemand. Kein Mann, kein Heer, keine Idee.
Für diesen Moment war er der Herrscher der Welt, denn es gab nichts, dem er sich hätte beugen müssen. Nichts, dem er die Stirn zu bieten nicht in der Lage gewesen wäre. Auch seinem eigenen Schöpfer nicht.
Denn er scheute in diesem Augenblick den Tod nicht mehr. Keine Folge seines Handelns beeinträchtigte ihn, er war im wahrsten Sinne des Wortes frei. Er war es schon einmal gewesen, in der Nacht neben Annas Leichnam. Und er würde es noch einmal sein, noch einmal sich hingeben im alles entscheidenden Augenblick, der noch in der Zukunft lag.
Und als freier Mann erreichte er jenen Punkt, von dem aus er mit dem Nurflügler ins Nichts aufgebrochen war. Mit rasselndem Atem stoppte er auf der Kuppe des Knorrigen Alten ab.
»Was willst du noch?«, brüllte er mit sengender Lunge in die Wolken. »Was willst du mir noch nehmen?«, schrie er hinaus.
Der Wind zerrte an seinen Kleidern und Haaren.
»Ich weiche nicht! Hörst du? Ich weiche nicht!«
Zitternd wegen der Kraftanstrengung, die hinter ihm lag, starrte Isenhart in den Himmel.
Aber Gott zog es vor zu schweigen.
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32.
ie Feste Weinsberg befand sich, man konnte es ahnen, auf dem Scheitelpunkt eines Berges, der sich bestens für den Weinanbau eignete. Nach allen Seiten fielen lange Reihen von Reben dem Tal und dem Betrachter entgegen.
1140 hatte der erste Stauferkönig Konrad III ., dessen Haus mit dem der Welfen über die Herrschaft im Heiligen Römischen Reich über Kreuz lag, in der Schlacht von Weinsberg Herzog Welf VI . von Bayern eine empfindliche Niederlage bereitet. Die Verteidiger – den Herzog ausgeschlossen – erwartete der sichere Tod, als sie endlich kapitulierten.
Isenhart und Konrad kannten jedes Detail dieser Geschichte, denn der Großvater Zolners von Tutenhoven stand damals in den Diensten der Welfen.
Den Weibern gewährte Konrad III . den freien Abzug mit allem, was sie auf ihren Rücken zu tragen vermochten. Als die Tore sich daraufhin öffneten, bildete sich eine nicht enden wollende Linie von Frauen, die ächzend und keuchend ihre Männer bergab trugen. Der staufische König zögerte, ließ dann aber nicht attackieren.
Eine ritterliche Geste, die ihm auch Anerkennung aus dem feindlichen Lager zuteilwerden ließ. Und die Zolners
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