Isenhart
Handeln vonnöten war. Er zwang sich zu jener Ruhe, die zu empfinden sein Bauch ihm abriet. »Warum bist du der Novizin gefolgt?«, fragte er atemlos.
»Ich sollte ihr etwas überbringen.«
»Was sollst du ihr überbringen?«, herrschte der junge von Laurin ihn an.
Der Mann griff in die Falten der Kukulle.
»Wenn das, was du aus deiner Kutte ziehst, eine Waffe ist, töte ich dich«, warnte ihn Konrad.
»Nein, nicht. Nein, ich … ich sollte nur ein Pergament überbringen.«
»Zeig es, mach schon«, trieb Isenhart ihn an, während Lugardis sich ihnen vorsichtig näherte.
Mit enervierender Langsamkeit zog der falsche Mönch das Stück Pergament hervor, das Konrad ihm ungeduldig aus den Fingern riss. »Abyssus abyssum invocat«, las er.
»Ich weiß nicht, was das heißt. Ich kann nicht lesen«, bekannte der Mann.
»Ein Fehler zieht den anderen nach sich«, übersetzte Isenhart.
Konrad nickte. Aber das war auch das Einzige, was er zu dieser Angelegenheit beizutragen wusste. Es war Isenharts Miene und nichts sonst, die ihm einen Schrecken einjagte und ihn hilflos machte, da er zwar spürte, wie sich das Unheil fast greifbar über ihren Köpfen zusammenzog und verdichtete, er seinen Ursprung aber nicht kannte und daher nicht wusste, was nun zu tun war. Isenhart schien es ähnlich zu ergehen. Er wandte den Blick ins Nichts, an einen Ort, der seinen Geist mit keinerlei Reizen ablenkte.
»Ein Fehler zieht den anderen nach sich«, wandte Konrad sich an Lugardis, »was soll das heißen? Die Nachricht ist für dich.«
»Die Nachricht ist nicht für sie«, widersprach Isenhart mit jener Tonlosigkeit, die gemeinhin von einem Schock verursacht wurde, »die Nachricht ist für mich.«
Langsam fand sein Blick zurück, endlich war der Sumpf durchschritten, endlich verstand er, warum der fremde Mann die Kukulle trug, begriff, dass diese Täuschung von Henning von der Braake erdacht worden war, in der sie alle sich wie Marionetten eingefunden hatten, die exakt das taten, was Henning vorhergesehen hatte.
»Es ist eine Falle«, stellte Isenhart fest und erhob sich. Konrad warf zügig einen Blick nach links und rechts, aber er konnte keine Angreifer ausmachen, niemanden, der sie bedrohte.
»Wovon sprichst du?«
»Von Sophia.«
[Menü]
38.
s war das erste Mal, dass Konrad von Isenhart in einer körperlichen Disziplin bezwungen wurde. Niemals wieder sollte er einen Menschen sehen, der schneller lief.
Isenhart hastete über den Trampelpfad und brach nach rechts ins Unterholz aus, um den Weg zur Scheune zu verkürzen. Mit der Geschicklichkeit fliehenden Wilds berührten seine Füße nur dort den Boden, wo sie vor der Gefahr des Strauchelns gefeit waren.
Es war nicht nur die Angst um Sophias Wohl, die Isenhart jene Kraft in die Beine fahren ließ, es war die gegen sich selbst gerichtete Wut.
Abyssus abyssum invocat.
Was für ein Einfaltspinsel er gewesen war! Zu glauben, Henning von der Braake würde nach all den Jahren jede Achtsamkeit fahren lassen; zu glauben, Lugardis’ Schönheit würde ihm den Verstand rauben und er ihr scheuklappig nachstolpern! Allein die Annahme, Henning würde in eine so plumpe Falle gehen, war in höchstem Grade fahrlässig gewesen.
Eine Fahrlässigkeit, die bestraft gehörte. Daher hatte Henning den Simpel beauftragt, ihm diesen Denkzettel zu überbringen.
Ein Fehler zieht den anderen nach sich.
Es war ein Fehler gewesen, Sophia alleine in der Scheune zurückzulassen.
Isenhart hetzte aus einer Seitengasse in den Hauptweg, rutschte mit einem Fuß im Matsch weg, fing sich gerade noch und rannte all den Flüchtenden entgegen, die sich blass und verletzt vom Kirbach wegschleppten.
Entfernt nahm er das Rasseln des Kettenhemdes wahr, das er einst für den Stammhalter des Hauses Laurin aus über dreißigtausend einzelnen Ringen gewoben hatte, und an dem Konrad nun schwer zu tragen hatte.
»Sophia!« Isenhart stürmte mit erhobenem Dolch in die Scheune. Er drehte sich dabei um seine eigene Achse, um möglichst zügig einen Überblick über den gesamten Raum zu gewinnen, als Konrad die Tür so heftig aufstieß, dass sie gegen die Wand krachte und sich eine Staubwolke von ihr löste.
Isenhart erreichte mit einigen, wenigen Schritten die Stelle, an der Sophia sich versteckt hatte, um den Lauf der Dinge zu beobachten. Eine enge Flucht, linker Hand durch Strohballen, nach rechts durch die Scheunenwand flankiert. Wie Konrad auch schloss er aus den Fußabdrücken im Staub, aus den Blutspritzern an
Weitere Kostenlose Bücher