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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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der Wand und an den Strohballen auf einen Kampf.
    »Sie hat sich gewehrt«, sagte Konrad tonlos, um dann ansatzlos zu brüllen: »Sophia!« Keine Antwort.
    »Sie sind nicht mehr hier«, stellte Isenhart fest, und seine Stimme zitterte leicht wegen seines Bemühens, ihr Ruhe zu verordnen, »sonst hat die Nachricht keinen Sinn.«
    »Keinen Sinn?«, echote Konrad, der die Strohballen beiseitewarf und nach seiner Schwester suchte. Er warf einen Blick zu dem Freund, der sich nicht von der Stelle rührte, der jene körperliche Starre an den Tag legte, die immer dann einsetzte, wenn er am intensivsten überlegte. »Warum keinen Sinn?«, brüllte Konrad von Laurin ungeduldig.
    Isenhart hob den Blick: »Henning hätte mit der Nachricht nicht auf sich verweisen müssen. Aber genau das hat er getan. Er hat mich vorgeführt, um … um mich jetzt zu bestrafen. Durch Sophia.«
    »Er könnte sich in der Schenke verstecken«, gab Konrad zu bedenken.
    Isenhart deutete ein Kopfschütteln an, aber er erklärte sich sofort bereit, dort mit ihm nach dem Rechten zu sehen.
    Die Fassungslosigkeit in Biz’ gebrochenem Blick fiel Isenhart zuerst auf. Konrad sah sich um, darauf bedacht, keine überflüssigen Geräusche zu verursachen. Da stand der Karren mit dem Harz, selbst das Maultier hatte Henning zurückgelassen.
    Isenhart ging neben dem Kaufmann in die Hocke und ergriff sein Handgelenk, um Biz den Finger auf den Puls zu legen. Die Schlagzahl des Lebens, wie Walther den Puls genannt hatte.
    Die Schlagzahl bei Biz war gleich Null, stellte Isenhart fest. Er war froh, dass er seine Gedanken für einige flüchtige Augenblicke auf die Begutachtung des Toten lenken durfte.
    Dem Kaufmann ragte das Heft des Dolches aus dem blutverschmierten Ohr.
    Blutverschmiert. Das ließ Isenhart aufmerken.
    Verschmiert. Nicht verkrustet.
    »Er kann noch nicht lange tot sein«, sagte er daher leise und griff dem Toten an den Hals, um die weichende Körperwärme zu spüren.
    »Ach was«, erwiderte Konrad gereizt, »wir haben ihn ja eben noch mit Lugardis schäkern sehen.«
    Isenhart fühlte sich dabei ertappt, eine Umständlichkeit an den Tag zu legen, die der Dringlichkeit ihrer Suche nicht angemessen war. Er musste nicht anhand von Gerinnungsgrad des Blutes und der Körpertemperatur herleiten, wie viel Zeit zwischen der Tat und dem Auffinden des Toten vergangen war. Konrad brachte einfach das Offensichtliche ins Spiel. Vor einer Viertelstunde war Biz noch quicklebendig gewesen. Isenhart hatte es mit eigenen Augen gesehen.
    Konrad tastete mit seinen Augen die Umgebung ab, die Gesichter, die Bewegungen. Die Bewohner Haslachs, die sich bisher noch nicht mit ihren Siebensachen aufgemacht hatten, taten es jetzt, als der Strom der Verletzten durch den Ort zog und dabei stetig anschwoll. Sie trugen ihre Kleider mit sich, klapperndes, rußgeschwärztes Kochgeschirr, und einige zogen ein Schwein oder eine störrische Ziege hinter sich her, die sich gegen den Zug des Hanfseils stemmte, das man ihr um den Hals gebunden hatte. Ein Junge verpasste ihr einen Tritt in die Hinterläufe, sodass sie erschrocken vorwärtssprang.
    Alles eilte, drängelte, hastete, wieder und wieder warfen sie die Blicke zurück auf das, was sie vielleicht jeden Augenblick einholen würde: die Meute Joseph von Vöhingens. »Herr, schütze uns«, hörte Isenhart ein junges Mädchen wispern, das das Kreuz schlug.
    »Wo kann er sein?«, fragte Konrad. Isenhart war ihm dankbar dafür, dass er die Frage, die unzweifelhaft auch in seinem Kopf schwelte, nicht aussprach: Glaubst du, sie lebt noch?
    Isenhart wusste inzwischen, wo Henning – und Sophia – sich in diesem Augenblick befanden. Er musste sich dazu nicht in seinen früheren Freund und Wegbegleiter hineinversetzen. Er musste sich nur fragen, wie er selbst seinen Verfolgern in dieser Situation ein Schnippchen schlagen würde.
    »Er schlägt sich zu Joseph von Vöhingen durch«, sagte er daher.
    Konrad warf ihm einen fassungslosen Blick zu: »Jetzt?«
    »Gerade jetzt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich würde es so machen.«
    Auf ihren Pferden bahnten sie sich den Weg gegen die Stoßrichtung der Flüchtlinge. »Herr, kehrt um«, wurde Konrad von einer alten Frau beschworen, während sie sich bemühten, trotz aller Eile, die sie antrieb, niemanden niederzureiten.
    Isenharts Augen musterten jeden Flüchtling, Verletzte ebenso wie Alte, Frauen und auch Jünglinge. Vielleicht unternahm Henning doch den Versuch, im Strom der Flüchtenden

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