Isenhart
Nadelwald und folgte Henning. Dieser hatte offenbar nur Augen für Lugardis, kein einziges Mal warf er einen Blick zurück. Da er aber die Distanz zu ihrSchritt um Schritt verringerte, beschleunigte Isenhart sein Tempo. Er lief über den Waldboden, der mit vertrockneten Tannennadeln übersät war und jedes Geräusch verschluckte.
Gleichzeitig zwang er sich flach zu atmen, weil sein Blut in Wallung geraten war, ihm durch die Ohren schoss und in seinem Kopf pochte, so dumpf und stark, dass es anderen unmöglich verborgen bleiben konnte. Es war keine Erschöpfung, die ihn heimsuchte, es war die Angst, Lugardis an Henning zu verlieren.
Konrad hat recht, dachte er. Welcher Wahnsinn hatte ihn geritten, das Leben dieser jungen Frau in die Waagschale zu werfen?
Isenhart schüttelte sich im Laufen. Es waren genug geopfert worden. Er riss den Dolch aus der Scheide und sprintete los.
Biz band das Maultier los.
Zwei Reiter sprengten vorbei, den einen hielt es kaum noch im Sattel, so schwer waren seine Verletzungen. Biz stieß den Atem aus seiner Lunge aus und spannte sich. Eile war geboten. Von Vöhingen würde Haslach überrennen, danach sah es aus. Noch konnte er den Karren mit dem Harz hier herausschaffen.
Menschen hetzten mit Hab und Gut und Kindern und Vieh die Hauptstraße hinauf. Sie ließen ihre Heimstatt zurück, die vier Wände, den Ofen, alles, was sie nicht tragen konnten, was erfahrungsgemäß wenig war oder auch nichts. Sie rannten um ihr Leben.
Er würde sich zum Stift durchschlagen, dachte Biz, ganz gleich, was der schmale Kerl gesagt hatte. Er war nicht von hier. Er hatte ihm nichts vorzuschreiben.
Hinter ihm ertönte ein Geräusch, als würde jemand Leinen zerreißen. Der Kaufmann fuhr herum. Simon von Hainfeld stand ihm gegenüber und hielt etwas Spitzes in der Hand. Der Hüne lächelte nicht, seine Hand schnellte vor und rammte Biz den Dolch bis zum Heft ins linke Ohr.
Lugardis trennten keine zehn Fuß von dem Baum, hinter dessen mächtigem Stamm Konrad auf seinen Einsatz lauerte. Wie von Isenhart vorhergesagt, war Henning von der Braake der Novizin gefolgt und hatte den Abstand zwischen ihr und ihm schnell verringert.
Lugardis blickte sich nicht über die Schulter, ganz so, wie Isenhart es von ihr verlangt hatte. Sie musste die eiligen Schritte hinter sich schon längst vernehmen, die Kukulle streifte Zweige und Büsche, Henning legte eine Hast an den Tag, die vermuten ließ, dass er, sollte Lugardis sich umdrehen und ihn erkennen, nicht von seinem Vorhaben ablassen würde.
Konrad von Laurin brannte darauf, Henning von der Braake den Dolch, den seine Rechte umklammerte, mit aller Wucht zwischen die Rippen zu stoßen, einmal, zweimal, in einem von der Wut beseelten Stakkato wieder und wieder.
Als er weitere Schritte hörte, nahm er an, es müssten Flüchtlinge sein, die sich über den Trampelpfad zum Stift zu retten gedachten. Flüchtlinge, die mitten in diesen waghalsigen Plan stolperten und ihn mit ihrem Auftauchen zunichtemachen würden.
Er beugte sich behutsam vor und lugte über eine Astgabel hinweg.
Es war Isenhart, der den Pfad wie von Furien gehetzt hinaufjagte und Konrad in Verwirrung stürzte. Was war passiert?
»Henning!«, brüllte Isenhart.
Der Mönch fuhr herum, Lugardis stoppte, Konrad schoss hinter dem Baum hervor, und Isenhart warf sich mit dem Dolch in der Hand gegen die Gestalt, die er mit sich zu Boden riss. Isenhart packte den Mann mit der linken Hand an der Gurgel, verlagerte sein Gewicht in den linken Arm, um den Körper unter ihm auf den Boden zu pressen, und holte mit dem Dolch aus, der in der Luft erstarrte.
Unter ihm lag nicht Henning von der Braake, sondern ein junger Mann, der vor Schreck seine Blase entleerte. Konrad sprang neben ihm in die Hocke, um Henning von der Braake die Kehle aufzuschlitzen – und auch er gefror mitten in der Bewegung zur Regungslosigkeit.
Isenhart war, als warte die Erkenntnis dessen, was sich hier abspielte, auf der anderen Seite eines Sumpfes. Seine Gedanken mühten sich mit jedem einzelnen Schritt durch diesen zähen Morast, obwohl er sie zur Eile antrieb, weil er ahnte, dass ihr Vorankommen von höchster Dringlichkeit war.
»Was tust du hier?«, herrschte Konrad den fremden Mann an.In der Heftigkeit und Lautstärke seiner Worte brach sich die ganze Anspannung des Tages Bahn.
»Bitte«, brachte der verängstigte Mann hervor, »bitte, ich habe nichts getan.«
Isenhart nahm seine Gedanken in Zaum, er spürte nur, dass schnelles
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