Isenhart
Kontakt mit denen Isenharts. »Und weil ich mich kenne«, fuhr er fort, »kenne ich auch dich.«
»Was soll dieses geschwollene Gerede?«, hörten sie Konrad aus seiner Zelle fragen.
Aber Henning von der Braake schenkte ihm keinerlei Beachtung. »Wir sind von derselben Art. Wir beide stehen außerhalb unserer Zeit. Du weißt, dass du keine verwandtere Seele finden wirst als meine, Isenhart.«
Isenhart konnte dem Blick Hennings nicht länger standhalten. Ja, das war der punctum saliens, der springende Punkt. Aber nur in der Fläche, nicht in der Tiefe. »Du irrst.« Er hob den Blick wieder und strahlte Ruhe und Selbstbewusstsein aus. Doch nur kurz gelang es ihm, sein Gegenüber zu irritieren.
»Ich verstehe: Sophia«, sagte Henning, und Isenhart war einmal mehr verblüfft über die enorme Auffassungsgabe des jungen vonder Braake, »mit ihr wirst du tiefer tauchen können als mit mir, das mag sein und liegt in der Natur der Dinge. Aber du warst an Ufern, die sie zeit ihres Lebens nicht erreichen wird. An denen du solche treffen wolltest, die nicht nur im Heute verharren. Die nach der Erkenntnis streben, der Quelle, die alles speist, die das große Ganze durchsetzt und zusammenhält.«
»Der göttliche Funke.«
»Ja. Und wie viele hast du an diesen Ufern getroffen? Hat dir je jemand Gesellschaft leisten können da draußen?«
»Walther von Ascisberg konnte es.«
»Aber nur bedingt«, entgegnete Henning, »Walther war ein weiser Mann, und er ist so weit gegangen, wie es die Konventionen seiner Generation erlaubt haben. Aber er hat an den Grenzlinien haltgemacht, die Sydal von Friedberg überschritten hat.«
»Und zu denen du strebst«, schloss Isenhart.
Henning deutete ein Nicken an, Isenhart nahm in seinen Augen jenen begeisterten Glanz wahr, der ihm noch allzu gut im Gedächtnis haftete. Es war ein ansteckender Glanz.
»Ja, und an dieser äußeren Linie war ich alleine, bis unsere Wege sich gekreuzt haben. Und du müsstest lügen, wenn du behaupten würdest, es sei dir anders ergangen. Du warst genauso dankbar und erleichtert, auf eine verwandte Seele zu treffen, die der Generation eines Walthers von Ascisberg entwachsen war – ist es nicht so?« Er betonte dabei jedes einzelne der letzten vier Worte, und Isenhart hätte die Frage niemals ehrlichen Herzens verneinen können.
»Dein Vater hat den Anfang gemacht, damals in Toledo. Aber Ibn Al-Hariq wollte ihm nicht folgen. Also habe ich Sydals Forschung fortgesetzt, und Günther hat mir dabei assistiert.«
Isenhart stutzte, hielt es im ersten Moment für einen skurrilen Scherz, doch ein Blick auf die Mimik Hennings belehrte ihn eines Besseren. »Dein Vater war dein … Schüler? «
Henning von der Braake beantwortete diese Frage nur mit einem kurzen Nicken. Offenbar gab es für ihn Wichtigeres, als das Verhältnis zwischen Günther und ihm weiter zu erhellen. Jedenfalls war es Henning und Günther über die Jahre gelungen, ihrem Umfeld ein gänzlich anderes Bild der Hierarchie, die zwischen ihnen herrschte, zu vermitteln. Als Günther von der Braake die tote WirtstochterLilith in Augenschein genommen hatte, führte er nicht seinem Adlatus vor, wie eine Leichenschau durchzuführen war, sondern er führte sie als Adlatus unter den Augen seines Meisters durch.
»Der Anfang des Heils ist die Kenntnis des Fehlers«, fuhr Henning ruhig fort.
»Epikur hat das gesagt«, wusste Isenhart. Walther hatte es ihn gelehrt. »Der Fehler besteht darin zu morden«, fügte er hinzu.
Hennings Stutzen nahm nur die Zeit in Anspruch, die eine Bö braucht, um einen Fensterladen zuzuschlagen. Dann lächelte er wie ein Mann, der sich von einer so durchsichtigen Finte nicht aus der Fassung bringen ließ. »Dann darf man nicht nur jene Fehler zählen, die einem passen, nicht wahr?«
Isenhart blieb reglos. Jemand musste Henning von der Braake aufhalten, das hatte er Sophia gegenüber gesagt, und das entsprach nach wie vor seiner Überzeugung. Aber, das musste er wissen, an welchem Punkt hatte sich Hennings Drang nach Erkenntnis über die Menschlichkeit erhoben?
»Epikur. Die Kenntnis des Fehlers oder auch die Erkenntnis des Fehlers – führt zur Quelle. Die Vier-Säfte-Theorie nach Galenos ist ein Fehler. Und das Gleichgewicht der Säfte nur ein Erklärungsmodell, um Krankheiten einzuordnen, nichts sonst. Ein schlechtes dazu. Und vor allem eines, das unwahr ist. Günther und ich haben festgestellt, dass man die Leute, wenn man sie nach Galenos behandelt, eher zu Tode
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