Isenhart
gehörten.
»Ach ja?«, fragte Isenhart so beiläufig wie möglich. Er meinte, ein Lächeln über das Gesicht seines Bruders huschen zu sehen.
»Ja«, stellte Henrick fest.
Er und Isenhart halfen bei der Weinernte aus. Es war Ende August, der heiße Sommer hatte die Beeren frühzeitig reifen lassen.
Zwar benötigte Chlodio seinen Sohn üblicherweise in der Schmiede, aber bei der Weinernte waren stets alle vonnöten. So kam es, dass Isenhart Seite an Seite mit Henrick damit beschäftigt war, die Trauben abzuschneiden und in einen hölzernen Eimer zu füllen.
Die Trauben mussten verarbeitet werden, bevor sie verdorrten, selbst Anna und Sophia waren von ihrer Mutter dazu angehalten worden. Sie wunderte sich zwar, dass Anna im Gegensatz zu früheren Jahren nicht dagegen aufbegehrte, indem sie auf ihre adlige Herkunft verwies, sondern sich sofort ans Werk machte, dachte sich aber nichts weiter dabei.
»Das muss dir doch aufgefallen sein«, hakte Henrick nach, »schließlich sammelt ihr jeden Mittwoch Pilze.«
Jeden Mittwoch Pilze. Diese Anspielung – und um eine solche handelte es sich wegen ihres konkreten Wesens, da war Isenhart sich sicher – ließ ihn aufmerken.
»Ja, möglich«, erwiderte er kurz angebunden. Er beschloss, dass sie sich einen neuen Treffpunkt suchen mussten.
Henrick schnappte sich den Eimer, aber Isenhart nahm ihn ihm ab. Henrick sah ihn erstaunt an.
»Du bist ganz blass«, sagte Isenhart, »setz dich und ruh dich aus, bis ich zurück bin.« Damit marschierte er los, hinab zu dem Zuber, der auf einem hölzernen Karren stand.
In dem Zuber stapften, die Kleider gerafft, vier Mädchen die Trauben zu Maische. Eines von ihnen war Anna.
»Dein Eimer ist immer nur halb voll«, stellte Sophia fest, die kreuz und quer durch den Zuber stapfte.
Isenhart verdrehte die Augen. »Wir können gerne tauschen«, bot er an.
Sophia schüttelte den Kopf: »Deine Füße kommen nicht an unseren Wein.« Die Mädchen lachten.
Isenhart schüttete den Inhalt in den Zuber, er hatte den ganzen Weg nur in Kauf genommen, um Anna aus der Nähe betrachten zu können. Sie warf ihm ein heimliches Lächeln zu.
Beseelt nahm er den Aufstieg zum Hügel wieder in Angriff. Wenn ihr Blick ihn traf, verspürte er weder Hunger noch Durst.
Am Abend kehrten sie zurück in die Burg, wo der Zuberinhalt gepresst und der Most in Fässer gefüllt wurde. Zur Haltbarmachung und Klärung des Traubensaftes wurden mit Schwefel überzogene Hölzer in den Fässern entzündet, kurz bevor der flüssige Teil des Gepressten zur Gärung darin eingelassen wurde, die Hölzer löschte und sich mit dem Qualm aus Schwefel verband.
Anschließend wurde der junge Wein unter der Leitung von Hieronymus, der als Keltermeister fungierte, auf vielerlei Arten angereichert: Lauchsamen, Honigstein, Alaun und Wermut, Weizenmehl und Rosenblätter wurden hinzugegeben. Holunderblätter, Weinessig, Nesseln und die Asche von Tannenzapfen warf er außerdem ins Fass.
»Henrick ist uns auf die Schliche gekommen«, raunte Isenhart Anna zu, als sie für einen Moment alleine an einem der Fässer standen.
Anna von Laurin begegnete dieser Neuigkeit so gefasst, dass er sich einmal mehr glücklich schätzte, ihre Zuneigung gewonnen zu haben.
Isenhart, der die Dinge sonst sehr überlegt anging, kannte kein Halten mehr, wenn sich der Mittwoch näherte. Er ließ jede Vorsicht fahren, Anna schrieb es seiner Leidenschaft zu, die ihn blind machte gegenüber den Risiken, denen sie sich stets aufs Neue aussetzten.
Bisher war alles gut gegangen, und möglicherweise rührte daher Isenharts Unbekümmertheit.
Sie selbst hatte sich bereits gefragt, was wohl passierte, wenn Giselbert eines Tages zu früh nach Hause käme. Oder ihnen jemand folgte. War Henrick ihnen gefolgt?
Wie auch immer: Sie hatte vorgesorgt.
Isenhart war in dem Glauben groß geworden, jeden Winkel der Burg zu kennen – er hatte sich geirrt. Neben Sophias Zimmer endete der Gang, in dem die Gemächer der herrschaftlichen Familie lagen. Hinter dem schweren Wandteppich, der – mit einer Portion guten Willens konnte man es als solches erkennen – die Auferstehung des Herrn symbolisierte, befand sich der Eingang zu einer morschen Wendeltreppe hinab zu einem Fluchtgang. Er führte unter der Erde in Richtung Süden und war mit Pfählen und Dielen notdürftig gegen das Erdreich abgestützt.
Der Gang war eng und voller Spinnweben. Isenhart hatte seine Mannesgröße noch nicht erreicht, trotzdem konnte er sich nur
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