Isis
weinen. »Amenardis ist tot, Montemhet, meine kleine Nichte! Wer hat uns das nur angetan?«
»Ich werde es herausfinden«, sagte er. »Und wenn ich den Rest meines Lebens dafür brauche.«
»Und Udjarenes?«
»Es geht ihr noch immer sehr schlecht«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob sie es übersteht. Es sollte wohl so aussehen, als sei das Gift von einer nubischen Hand verabreicht worden.«
»Wie kommst du darauf?«
»Sie haben Rinde des Rotbaumes verwendet, die schon in kleinen Dosen töten kann und zudem der des ungefährlichen Braunbaumes täuschend ähnlich ist. Euer Glück war, dass sie in den Bechern mit reichlich Wasser vermischt war. Sonst wäret ihr heute beide nicht mehr am Leben.«
»Sie hat aus dem Becher getrunken, der eigentlich für mich bestimmt war«, flüsterte Schepenupet. »Und deine Frau wiegt nicht einmal ein Drittel so viel wie ich.« Sie versuchte, sich etwas aufzurichten. »Halte mich, Montemhet!«, bat sie.
»Mir ist auf einmal so schrecklich kalt.«
Er schloss sie in die Arme und spürte, wie ihm die Brust dabei eng wurde. Niemals hatte er ihren Zauber vergessen, ihre Schönheit — sehr wohl aber die Wirkung der Berührung: ihre Schulter an seiner Schulter, die warmen Wölbungen ihres Busens an seinem Brustkorb, ihr Handgelenk, so fein und zart, der empfindsame Mund, den er an seinem Hals spürte. Er zog sie enger an sich.
»Ich bin fett und hässlich«, murmelte sie erstickt. »Ich schwitze und bin zu schwach, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie kann ich da annehmen, dass du mich noch immer liebst?«
»Du warst immer die Eine für mich«, sagte er. »Und wirst stets die Einzige für mich bleiben, egal, was geschieht.«
»Obwohl ich dir niemals gehören kann?«
»Wer behauptet, zu begehren mache blind, versteht nichts von der Liebe. Der handelt, als sei sie ein vergänglicher Trieb, und hat keine Ahnung von ihr. Wahre Liebe hat nichts mit Besitz zu tun, meine Geliebte. Und das wissen wir beide.«
»Küss mich!«, sagte sie leise.
Als ihre Lippen sich trafen, empfanden beide ein tiefes Glücksgefühl. Danach liebkosten seine Hände ihr eigensinniges schwarzes Haar und spürten ihrer Kopfform nach. Sie war so geschwächt, dass sie in seinen Armen einschlief. Er hielt sie wie ein Kind, bis ein Geräusch vor der Tür beide aufschrecken ließ.
»Geh zu Udjarenes!«, bat sie, als er schließlich von ihr Abschied nehmen musste. »Sie braucht dich jetzt mehr als ich. Und sei großherzig mit ihr! Sie liebt dich so sehr.«
Die Luft in der Tempelwerkstatt war erfüllt von rötlichem Gesteinsstaub, der alle Konturen verwischte. In dem großen, nach Osten hin halb offenen Raum arbeiteten sieben Steinmetzen gleichzeitig an einem Relief, während Khay im überdachten Vorbereich damit beschäftigt war, den Hinterleib einer ruhenden Sphinx aus einem Sandsteinblock zu treiben. Immer wieder musste er absetzen, weil seine Hände zu zittern begannen. Es war nicht die Anstrengung, denn seine Arme waren im Lauf der Ausbildung stark geworden und die Schultern breit und muskulös, es war vielmehr die innere Aufregung, denn zum ersten Mal hatte Nezem ihn selbstständig an eine so wichtige Arbeit gelassen.
Manchmal hatte er schon befürchtet, niemals den Tag zu erleben, an dem seine Hände eine Figur aus dem Stein befreien würden. Viel zu lange für seinen Geschmack war er über Zeichnen und Tonformen nicht hinausgekommen, und jedes Mal, wenn er dagegen aufbegehrte, hatte ihn ein merkwürdiger Blick Nezems schnell wieder zum Schweigen gebracht.
»Du kannst jederzeit aufhören.« Offensichtlich, dass Nezem die Nacht ebenso wenig in seinem Bett verbracht hatte wie vermutlich auch schon die vorhergehende, denn seine Lider waren dick vor Müdigkeit und die Wangen stoppelig. An einem solchen Morgen war es klüger, seine Nähe zu meiden, aber Khay hatte einfach nicht schnell genug reagiert. Außerdem plagte ihn schon seit langem die Neugierde, was der Steinmetz zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang wohl zu schaffen hatte. »Mit Steinen kannst du dir keine Halbheiten erlauben. Entweder du stimmst dich ganz auf sie ein - oder du lässt besser die Finger davon.«
»Und wie soll ich das herausfinden, wenn du sie mich nicht einmal richtig anfassen lässt?«
»Du bist zu mir gekommen«, lautete die Antwort. »Wenn dir meine Art nicht passt, steht es dir frei zu gehen auf der Stelle, wenn du willst.«
Damals hatten sie noch in Nezems Anbau gearbeitet, weil er sich weigerte, einen Fuß in
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