Isis
auch, Sohn Basas?«
Da war er wieder, jener merkwürdige Blick, der Khay eine Gänsehaut verursachte! Worauf spielte Nezem an? Auf Selenes und Basas Verrat? Oder darauf, dass er sie verraten hatte?
»Was meinst du damit?«, fragte er vorsichtig. Jetzt schien der Bildhauer über ihn hinwegzuschauen.
»Ein Geheimnis«, sagte er leise. »Und ein gefährliches dazu. Es ist nur für mutige Männer geeignet, die den Mund halten können.«
»Natürlich kann ich schweigen!«, behauptete Khay eifrig. Er brannte darauf, mehr zu erfahren. »Was ist es? Verrat es mir!«
Erwartungsgemäß blieb Nezem ihm die Antwort schuldig.
Aber schon in der nächsten Woche nahm er ihn ohne lange Vorreden zum ersten Mal zum Westufer mit. Natürlich wusste Khay, wohin sie fuhren und dass es strengstens untersagt war, was sie vorhatten. Ein Gefühl der Beklemmung ergriff ihn, als sie im Mondschein das schwarze Wasser überquerten, das die Welt der Lebenden vom Totenreich trennte, und er war schweigsam wie selten zuvor.
Seit Nezem ihn in sein Geheimnis eingeweiht hatte, war ihm dieses so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass er es als T eil seiner selbst empfand. Er wurde unruhig, wenn zwischen den nächtlichen Besuchen zu viel Zeit verging, weil er es kaum erwarten konnte, wieder in die Grabkammern einzudringen. Nezem hielt ihn bewusst kurz, was seinen Anteil an der Beute betraf, und manchmal ging Khay sogar leer aus.
Aber ihm kam es ohnehin nicht auf die Silbertropfen an, obwohl sie sich für bestimmte Zwecke gut verwenden ließen.
Der Kitzel, etwas absolut Verbotenes zu tun, dessen Entdeckung mit härtesten Strafen geahndet wurde, hatte ihn wie eine Sucht überfallen.
Die da leblos vor ihm lagen, in Mumienbinden gewickelt, waren einst hohe Beamte, Priester oder gar Pharaonen gewesen. Und jetzt war er es, der Macht über sie besaß! Manchmal fühlte er sich wie der Herr des Westreiches persönlich, für den es keine Grenzen gab und dem nichts unmöglich war.
Hatte Khay allerdings gehofft, durch seine Mittäterschaft Nezem und vor allem Isis näher zu kommen, so musste er schon bald einsehen, dass er sich in diesem Punkt gründlich getäuscht hatte. Der Erste Bildhauer veränderte seine Haltung ihm gegenüber ebenso wenig wie die Tochter ihre kühle Distanz, die sie so konsequent beibehielt, dass er manchmal befürchtete, darüber den Verstand zu verlieren.
Allein schon an sie zu denken, bereitete Khay Höllenqualen.
Denn er sah Isis, ohne jemals richtig mit ihr sprechen zu können, war in ihrer Nähe von früh bis spät, ohne jede Hoffnung, ihr wirklich nah zu sein. Seit jenem Tag am Fluss, an dem er ihr den Kuss abgerungen hatte, kam es ihm vor, als sei das Mädchen von einer gläsernen Hülle umgeben, an der er sich blutig stieß, ohne dass sie überhaupt Notiz davon nahm.
Daran hatte auch die Tatsache nichts geändert, dass er ihr viele Monde lang im Haus ihres Vaters begegnet war. Isis hatte leicht abwesend gelächelt, einen Gruß gemurmelt, um dann zu ihren täglichen Pflichten zu verschwinden, von denen sie scheinbar nur sein kleiner Bruder ablenken konnte.
Wenn er Isis und Anu heimlich beobachtete, fletschten die Dämonen in ihm die Zähne. Um Anu zu bestrafen, ließ er den Jüngeren links liegen und genoss es, dass dieser darunter litt.
Aber es war bestenfalls ein halbherziger Triumph.
Solange sein Bruder sich noch bei jedem dritten Wort verheddert hatte, war es leichter für Khay gewesen, sich ihm überlegen zu fühlen. Anu jedoch hatte Fortschritte gemacht, nicht nur, was das Reden betraf, und galt inzwischen als einer der fähigsten jungen Schreiber, die das Haus des Lebens je hervorgebracht hatte. Natürlich fehlte ihm Khays Kraft, aber er war inzwischen ein ganzes Stück gewachsen, und seine zarte, beinahe grazile Erscheinung war von einem ganz eigenen Reiz, der viele Frauen ansprach und dem älteren Bruder nicht verborgen blieb.
Deshalb war Khay auch in dieser Hinsicht erleichtert, endlich in der Tempelwerkstatt arbeiten zu können, um beiden aus dem Weg zu gehen. Das Aufatmen dauerte jedoch nur bis zu jenem Tag, an dem Isis plötzlich zur Mittagszeit mit einem Handkarren erschien und sich daran machte, selbst gekochtes Essen für die Steinarbeiter auszuteilen. Inzwischen hatte sie sogar im Innenhof eine provisorische Küche eingerichtet, wo sie tagtäglich ihre Mahlzeiten zubereitete, die großen Anklang fanden. Khay wusste genau, dass es nicht nur an den Linsengerichten und den gerösteten Entenstücken
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