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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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lang aber wirst du herausfinden wollen, wo deine Wurzeln sind. Das ist eine Reise zu dir, die du allein antreten musst.«
    »Du weichst mir aus«, sagte Meret, »genauso wie alle anderen. Ich bin eure Feigheit so leid! Wieso sagt ihr nicht endlich, was ihr wirklich denkt?«
    »Geh bitte!«, sagte Sanna leise. »Ich muss mich für das Nachtgebet vorbereiten.«
    Mit hochgezogenen Schultern lief Meret hinaus. Vor Ruzas Haus wurden ihre Schritte langsamer, und sie blieb schließlich stehen. Sie brauchte ein paar kräftige Atemzüge. Erst dann konnte sie mit halbwegs fröhlicher Miene eintreten.
    Ruza, die Merets Anspannung sofort spürte, lächelte mühsam. Trotz der sommerlichen Wärme fror sie von Tag zu Tag mehr. Schon seit langem aß sie überhaupt nur noch, weil sie Meret nicht weiter beunruhigen wollte. Bislang war es ihr gelungen, das zurückweichende Zahnfleisch ebenso zu verbergen wie den blutigen Auswurf. Den Husten freilich, der ihren abgemagerten Körper schüttelte, konnte sie ebenso wenig verstecken wie ihre Beine, die vom eingelagerten Wasser unförmig geschwollen waren.
    »Da habe ich mich ein Leben lang vergeblich nach schlanken Fesseln und eleganten Waden gesehnt«, versuchte sie scherzend über ihre missliche Lage hinwegzutäuschen, »um jetzt im Alter endgültig einer trächtigen Elefantenkuh zu ähneln.«
    »Wie geht es dir?«, fragte Meret vorsichtig. »Hattest du einen annehmbaren Tag?«
    »Wenn ich wieder an meinen geliebten Brennofen könnte, würde ich mich bestimmt besser fühlen. Aber angeblich schadet das Feuer ja meiner kranken Lunge. Sanna behauptet sogar, es habe mein Leiden verursacht.« Ruza machte ein paar ungelenke Schrittchen in Richtung Bett. »Du kommst spät«, sagte sie betont beiläufig. »Du warst wieder bei ihr?«
    Meret nickte, vermied aber, sie dabei anzusehen.
    »Sanna hatte noch zu tun«, murmelte sie. »Bist du hungrig?«
    »Ich schätze sie sehr, das weißt du. Aber in Liebesdingen ist sie offenbar mit Vorsicht zu genießen. Sie hat Usha verlassen und zuvor schon zwei andere Frauen, die bis heute nicht darüber hinweg gekommen sind. Ich habe Angst, dass sie auch dir eines Tages wehtun könnte«, sagte Ruza. »Und vergiss nicht, dass ich vielleicht schon bald nicht mehr da sein werde, um dich zu schützen! Sei vorsichtig, mein Liebling!«
    »Du wirst wieder gesund werden«, widersprach Meret.
    »Außerdem kann ich inzwischen ganz gut selber auf mich aufpassen.«
    »>Die Augen des Nil<, so nennen die Menschen dich stromaufwärts wie stromabwärts. Und da willst du nicht sehen, was bei mir los ist?« Sie tastete nach Merets Hand. »Vor dem Tod habe ich keine Angst. Nur davor, dass ich dann nicht mehr bei dir sein kann. Ich bin so gerne deine Mutter.«
    »Und ich werde immer dein Kind bleiben.« Meret kämpfte gegen jäh aufsteigende Tränen. »Soll ich dir einen Brustwickel machen? Oder willst du lieber frischen Tee?«
    »Lass nur, ich gehe besser früh schlafen. Morgen ist wieder ein neuer Tag.«
    Bald schon würde das Fieber weiter steigen. Manchmal ging es so schnell, dass es Ruza ganz schwindelig machte. Inzwischen liebte sie diese Stunden leiser Benommenheit, dann konnten ihre Gedanken ungehindert auf die Reisen gehen, zu denen ihr geschundener Körper nicht mehr in der Lage war.
    Sie spürte, dass es unaufhaltsam dem Ende zuging, und sie haderte nicht länger damit - hätte es da nicht Meret gegeben.
    Ich werde mit Sanna sprechen müssen, dachte sie, und wusste im gleichen Augenblick, dass sie doch wieder tausend Ausreden finden würde, um diese Unterredung auf später zu verschieben. Ich kann nicht zulassen, dass sie mein Kleines verletzt. Wenn sie sich nachts unruhig im Bett wälzte, schien alles ganz einfach. Am nächsten Morgen jedoch blieben ihre Lippen verschlossen, als hätte jemand sie mit heißem Wachs versiegelt.
    Beinahe hätte sie über ihre eigene Feigheit gelacht. Der nächste Hustenanfall jedoch, der mit stechenden Schmerzen in der Brustwand verbunden war, ließ ihr keine Möglichkeit mehr dazu.
     
    oooo
     
    »Du stotterst gar nicht mehr.« Mit einem Ächzen kam die Ama hoch. Anu hatte sie dabei überrascht, wie sie ihre Kleider sorgsam in einer Kiste verstaute. »Ich bin richtig stolz auf dich.«
    »Doch«, sagte er, »manchmal schon. Wenn ich sehr aufgeregt bin oder verblüfft. Aber du hast mir trotzdem entschieden geholfen. Ohne deine Übungen würden heute noch alle über mich lachen.«
    »Ein bisschen Stottern macht noch keinen schlechteren

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