Isis
das dem Unsichtbaren dargebracht wurde.
»Eine Freude, ihn anzusehen! Für mich ist er fast so etwas wie unser Sohn«, sagte Schepenupet halblaut, als sie mit Montemhet nach der Beendigung der Zeremonie wieder hinunter stieg. Nitokris folgte ihnen wie ein Schatten, was die »Gottesgemahlin« nicht zu stören schien.
»Als ob das Beste von uns in ihm vereinigt sei«, stimmte er ihr zu und blickte sich leicht irritiert nach Psammetichs Tochter um, die jedes Wort verfolgte. »Nesptah hat deine Willensstärke, meine Hartnäckigkeit und dazu eine Gelassenheit, um die ich ihn schon oft beneidet habe.«
Als später überall in der Tempelstadt Fackeln im Nachtwind loderten, saßen sie beim Mahl zusammen.
»Was ist eigentlich mit dem Jungen, der am Fluss festgenommen wurde?«, sagte Schepenupet. »Hat er etwas mit den Grabräubern zu tun, die ihr nicht zu fassen bekommt?« Gedankenverloren griff sie nach ihrem Becher, Nitokris jedoch war schneller und trank aus ihm einen Schluck.
»Du weißt, was wir ausgemacht haben«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Sie kostet dein Essen vor?«, fragte Montemhet verdutzt.
»Jeden Schluck und jeden einzelnen Bissen. Nitokris ist meine Zunge und mein Gaumen, so eifrig, dass ich manchmal gar keine Lust mehr habe zu essen. Sie besteht darauf, obwohl es mir nicht recht ist. Schließlich bin ich ihre Mutter.
Und Mütter sollten vor ihren Töchtern sterben.«
»Du darfst nicht sterben«, sagte Nitokris heftig. »Nicht auch noch du!« Aus ihren herben Zügen sprach echte Besorgnis.
»Außerdem würde mein Vater auf der Stelle jeden hinrichten lassen, der sich an dir vergreift.«
»Dazu müsste Psammetich den Verbrecher allerdings erst einmal zu fassen bekommen«, versetzte ihr Montemhet, »was, wie du weißt, nicht immer gelingt.« Er wandte sich an Schepenupet. »Du rechnest mit einem zweiten Anschlag?«
»Du nicht? Schließlich haben sie ihr Ziel verfehlt.« Ihr Blick ging zu einer Gruppe von Priestern, die sich um Horachbit geschart hatte und ab und zu wenig freundlich zu ihnen herübersah. »Falls wir mit unseren Vermutungen richtig liegen. Denn bis heute gibt es ja keinen einzigen Beweis.«
»Aber auch keinen geheimnisvollen Mörder aus Assur, das darfst du mir glauben!«, sagte Montemhet zornig. »Aschurbanapli hat wahrlich andere Sorgen, als sich um die interne Nachfolge im Amun-Tempel zu kümmern. Er soll ernstlich krank sein. Und seine Söhne sind, wie man hört, bis aufs Blut zerstritten.«
»Keiner kann seinem Schicksal entfliehen«, sagte die »Gottesgemahlin« nachdenklich. »Seitdem ich das am eigenen Leib erlebt habe, bin ich ruhiger geworden. Und um vieles demütiger.« Sie nahm einen Bissen Fleisch, nachdem Nitokris ihr den Teller mit aufmunterndem Nicken zurückgegeben hatte. »Was ist nun mit dem Jungen?«, wiederholte sie.
»Du bist mir noch die Antwort schuldig.«
»Er hat einen kostbaren alten Ring bei sich gehabt, der offenbar aus einem der Gräber stammte, und wirres Zeug gestammelt von einem alten und einem jungen Mann.
Mehrmals will er sie nachts in den Grabanlagen beobachtet haben.
Nach seiner Aussage soll sich der junge Mann dann vor seinen Augen in ein Krokodil verwandelt haben. Er ist im Nil verschwunden, bevor die Flusspolizei ihn erwischen konnte.«
»Zumindest scheint der Knabe eine ausgeprägte Phantasie zu haben.«
»Ich fürchte eher, er ist ein bedauernswerter Idiot. Man hätte ihn behutsamer befragen sollen. Vielleicht wäre dann mehr aus ihm herauszubringen gewesen.«
»Ihr habt ihn wieder freigelassen?«
»Das war nicht möglich. Sie haben ihn am nächsten Morgen tot in seiner Zelle gefunden. Erhängt.«
»Selbstmord?«, fragte Nitokris erstaunt.
»Zumindest sollte es so aussehen«, erwiderte Montemhet.
»Aber es gibt da eine ganze Reihe von Ungereimtheiten, denen wir weiter nachgehen werden. In meinen Augen ist er eher zufällig in die ganze Geschichte gestolpert. Die wahren Drahtzieher sitzen im Hintergrund und lassen sich durch niemanden von ihrem schändlichen Treiben abhalten.«
»Ich hasse diese Kreaturen, die nicht einmal Achtung vor den Toten haben«, sagte Schepenupet leidenschaftlich. »Was sie tun, ist ein Frevel gegen die Götter und gegen das Leben selbst. Sie sind schlimmer als Aasgeier. Sie in die Wüste zu verbannen wäre eine zu milde Strafe.«
»Ich hasse und verachte sie ebenso«, sagte Montemhet.
»Aber eines Tages fassen wir sie. Alles nur eine Frage der Zeit. Nesptah soll sich noch einmal die alten Pläne vornehmen.
Weitere Kostenlose Bücher