Isis
Brot. Das genügt.«
»Weshalb bist du hier?«, fragte Meret, als sie wieder allein waren. Sie spürte genau, dass weder Sehnsucht noch Verlangen die Geliebte zu ihr geführt hatten. Eine ungewohnte Kühle ging von Sanna aus, die Merets Befangenheit wachsen ließ.
»Wir haben erfahren, dass die Menschen dich nach wie vor um Rat bitten. Sie kommen jetzt hierher?«
Meret nickte.
Sanna schien um die richtige Formulierung zu ringen. »In Philae standest du unter dem Schutz des Tempels. Die Leute in einem Privathaus zu empfangen, ist eine andere Sache.«
Sie sah Meret eindringlich an. »Du musst aufpassen, dass du nicht in den Verdacht billiger Wahrsagerei gerätst. Das wäre deiner Gabe nicht würdig. Dazu hast du sie nicht von Isis erhalten.«
Ihre Offenheit traf Meret wie ein Hieb.
»Ich habe keinen gebeten zu kommen«, versuchte sie sich zu verteidigen, »geschweige denn einer Menschenseele verraten, wer ich bin. Sie haben mich trotzdem gefunden. Erst kamen wenige, schließlich immer mehr. Niemand wollte sich abweisen lassen.«
»Weißt du denn inzwischen, wer du bist?« Sannas Stimme war ungewohnt scharf. »Bist du nicht eigentlich deswegen von Philae aufgebrochen?«
»Du hast mir doch geraten zu gehen!« Meret spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Weshalb war Sanna so kühl, so distanziert?
»Damit du dich ganz findest. Kannst du das hier?«
Es war, als sei ein Schleier gerissen. Mit einem Mal konnte Meret den Pomp ringsumher kaum noch ertragen.
»Nein.« Sie senkte den Kopf. »Das ist wohl nicht möglich.«
»Was willst du tun?« Sannas Ton war wieder eine Spur sanfter geworden.
»Ich weiß es nicht«, sagte Meret. »Pacher weicht mir aus, wenn ich Ruzas Namen nur erwähne. Entweder er hat sie wirklich so wenig gemocht, wie er vorgibt, oder ...«
»Oder?«
»... er weiß längst, dass sie nicht meine Mutter war, und hat triftige Gründe, das Spiel dennoch weiterzutreiben.«
»Und deine Bilder?«, fragte Sanna. »Was sagen sie dir?«
»Alles schwarz«, sagte Meret verzweifelt. »Nur Dunkelheit.« Sie berührte Sannas Hand. »Kann ich nicht wieder mit dir nach Hause? Ich fühle mich so schrecklich einsam ohne dich.«
»Ich vermisse dich auch. Sehr sogar. Und ich wünschte von ganzem Herzen, du kämst«, sagte Sanna ruhig. »Aber es wäre nichts als eine Flucht, die du irgendwann einmal bereuen würdest. Geh weiter, Meret! Du bist noch nicht am Ziel.
Aber du wirst finden, wonach du suchst. Bete zu Isis, damit Sie dir dabei hilft! Ihre Schwingen werden dich schützen und führen.«
Zum Abschied umarmte Sanne sie innig, nicht wie eine Geliebte, sondern eher wie eine ältere Schwester, und Meret musste alle Kraft zusammennehmen, um sie auch wirklich gehen zu lassen.
Sie war blass und in sich gekehrt, als Pacher nach Hause kam, später als sonst und auffallend gut gelaunt. An seinen übertrieben kontrollierten Bewegungen erkannte sie, dass er getrunken hatte.
Sofort stand sie auf, um sich zurückzuziehen.
»Kannst mir gratulieren, Mädchen!«, rief er. »Ich habe heute vermutlich das Geschäft meines Lebens gemacht. Weihrauch vom Allerfeinsten, direkt aus dem fernen Punt. Dein Tempel wird tief in seine Silberschatullen greifen müssen. Denn wenn er es nicht tut, bekommen ihn eben andere.«
»Gratuliere!«, sagte sie matt und wollte nach draußen.
»Halt, nicht zu hastig! Ich möchte mit dir feiern.« Lallend verstellte er ihr den Weg. Seinem Befehl nach mehr Wein war ein gähnender Diener bereits nachgekommen, und Pacher trank ungezügelt weiter. »Wenn du willst, kannst du dir ein paar neue Kleider machen lassen. Ich mag es, wenn du ganz besonders hübsch aussiehst.«
»Ich brauche keine neuen Kleider.« Meret hatte beinahe seine Größe, aber nicht einmal die Hälfte seines Gewichts.
Als sie versuchte, an ihm vorbeizukommen, versetzte er ihr einen kräftigen Stoß. Sie stolperte, verfing sich mit einem Fuß in ihrem Saum und stürzte auf den Rücken. Eher aus Schreck als aus Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen.
»Aber mein Kleines weint ja!« Pacher war über ihr. »So schlimm?« Seine Hand tätschelte unbeholfen ihre Wange. »Da werden wir uns einen Trost ausdenken müssen, der ganz schnell hilft.« Jetzt spürte sie seine heißen Finger an ihrem Schenkel, den das verrutschte Kleid freigegeben hatte.
»Lass mich los!« Meret versuchte sich aufzurichten. Aber sein Gewicht drückte sie weiterhin zu Boden.
»Weshalb auf einmal so scheu?« Er blies ihr seinen schalen Atem ins Gesicht.
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