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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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verlegen wischte er mit dem Handrücken das Blut ab.
    »Was das?«, fragte der älteste der Fremden, ein Bärtiger mit großen, gelblichen Zähnen, und deutete auf die Mumien.
    »So viele. Wieso?«
    »Das wüsste ich auch gern«, erwiderte Khay, erleichtert, seine Fassung wieder gefunden zu haben. Er riss der nächsten Mumie das goldene Pektoral von der Brust und streifte einen Reif mit Einlagen aus Lapislazuli von dem ledrigen Arm.
    »Packt erst einmal in eure Taschen, was ihr tragen könnt!«
    »Aber nicht genug«, sagte der Bärtige angesichts der Schätze unschlüssig. »Viele, viele Taschen nötig.«
    »Das weiß ich auch«, sagte Khay ungeduldig. »Aber ich muss erst herausfinden, was das hier ist. Sobald ich besser Bescheid weiß, können wir zurückkommen. Und kein Ton darüber, zu niemandem — sonst ...«
    Kein weiteres Wort war nötig. Die Männer hatten seine unmissverständliche Geste sofort verstanden.
     
    oooo
     
    In Pachers Haus empfing den Besucher ein Vorhof, von dem aus man das säulengetragene Speisezimmer erreichte. Nach hinten hinaus gingen mehrere Schlafzimmer und die einfacheren Wirtschaftsräume. Meret, die als menschliche Behausung außer ihrem geliebten Säulenwald nur die einfachen Lehmbehausungen der Priesterinnen kannte, war von der ungewohnten Pracht halb erschlagen. Viele Wände waren mit koloriertem Stuck dekoriert, Türen und Gesimse zeigten farbige Einlagen aus Fayence und vergoldete Verzierungen. Den Fußboden im Speisezimmer schmückte ein Sumpfdickicht, so realistisch gemalt, dass sie zunächst Bedenken hatte, überhaupt darauf zu treten.
    In Pachers Schlafraum hatte sie beim Rundgang durch das Haus, den er ihr zu Ehren angesetzt hatte, nur einen kurzen Blick geworfen, ausführlich genug jedoch, um das mächtige Bett zu bewundern, das von Möbeln aus teuren Hölzern umgeben war. Aber selbst das Gästezimmer, das im ersten Stock lag, war so ungewohnt üppig ausgestattet, dass ihre Augen immer neue Details entdeckten.
    »Du musst ungeheuer reich sein«, sagte sie, als Diener abends das reichhaltige Essen auftrugen.
    »Sagen wir lieber, ich habe Glück gehabt.« Pacher spielte mit dem breiten Goldreif an seinem Arm, den er offenbar niemals ablegte, ein schön ziseliertes Schmuckstück, das allerdings besser zu zarten Frauengelenken gepasst hätte. »Das Glück des Tüchtigen, wenn du willst. Dazu kamen ein paar geschickte Unternehmungen, die schließlich Früchte getragen haben. Und viel Fleiß, natürlich. Ich habe aber auch schon schlechtere Tage gesehen. Schadet nichts, sich ab und an daran zu erinnern!«
    »Und jetzt lebst du hier ganz allein?« Meret konnte kaum glauben, dass er all die Pracht mit niemandem teilte.
    »Bisher war mir das so am liebsten. Aber ich fange an, mich an deine Gesellschaft zu gewöhnen. Ist lange her, dass ich so etwas zu jemandem gesagt habe.«
    Meret, der der ungewohnte Weingenuss schnell zu Kopf stieg, ging bald schlafen. Tagsüber, wenn Pacher bei seinen Kamelen war oder andere Geschäfte betrieb, gehörte das Haus ihr allein. Sie liebte den Garten mit seinem künstlich angelegten Teich, der von Palmen und Sykomoren umstanden war, zog sich aber während der Mittagshitze in ihr luftiges Zimmer zurück.
    Viel Zeit zu dieser Muße blieb ihr allerdings nicht. Denn nach kurzer Zeit wusste ganz Sunu, wer Pachers Nichte war. Die Kunde, dass die berühmte Seherin die Tempelinsel verlassen hatte, um jetzt mitten unter den Bewohnern Sunus zu leben, verbreitete sich in der ganzen Stadt. In den frühen Morgenstunden versammelten sich die ersten Ratsuchenden vor Pachers Haus. Zunächst wollte Meret sie erschrocken abweisen, aber sie hatte nicht mit der Hartnäckigkeit dieser Menschen gerechnet. Bis Mittag hatte sich bereits eine Schlange gebildet, die ständig länger wurde.
    Schließlich wusste Meret keinen anderen Ausweg, als die Leute nach und nach zu empfangen. Um Pacher nicht zu verärgern, wählte sie dazu einen der kleinen Wirtschaftsräume, eine Art Besenkammer, in der nur zwei Stühle standen. Jetzt verbarg sie kein Gitter mehr, und der Schleier, den sie anlegte, um sich wenigstens etwas zu schützen, erfüllte den Zweck nur ungenügend.
    Angesichts der ersten Besucher waren Pachers Brauen fragend hochgeschnellt. »Was wollen sie von dir? Sie behaupten, du seiest eine Seherin. Was kannst du ihnen geben?«
    »Sie möchten ihre Zukunft wissen. Jedenfalls die meisten von ihnen. Manche fragen mich auch nach Ehemännern, von denen sie verlassen wurden.

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