Isis
schütteln. »Ausgeschlossen. Du musst dich irren!«
»Es gibt keinen Zweifel.« Nezem reichte ihm ein schweres Pektoral. Mehrreihige Perlenschnüre aus Gold, Karneol, Türkis und Lapislazuli mündeten in stilisierte Lotosblüten, auf denen eine goldene Mondbarke thronte. Er zeigte ihm die Rückseite. »Siehst du nicht, was da am unteren Teil eingraviert ist? Dies hat garantiert keinem Beamten gehört.«
»Ahmose«, buchstabierte Iucha langsam. »Ich kann es nicht fassen! Seit Generationen gibt es schon Gerüchte über jene Herrscher, die man angeblich aus ihrem Haus für die Ewigkeit gerissen und irgendwo tief in der Erde verscharrt hat.
Ich wette, in deinem Dorf kennt sie jedes Kind. Ein Pharao namens Ramses soll die Anweisung dazu gegeben haben, weil unter seiner Herrschaft die Grabräuber immer dreister wurden. Unsere Vorgänger haben also offenbar schon damals den Behörden das Leben schwer gemacht.« Sein Lachen klang künstlich. »Das ist unter Garantie der dickste Fisch, der uns jemals ins Netz gegangen ist.«
»Beamtengräber zu plündern ist eine Sache«, sagte Nezem, »aber die letzte Ruhe der Großen zu stören .«
»Siehst du denn nicht, wie gut das Schicksal es mit uns meint?« Vor Aufregung konnte Iucha nicht mehr still stehen. »Es liefert uns diese unermesslichen Schätze direkt in die Hände. Wieso sollten wir nicht zugreifen und nehmen, was unsere Vorgänger freundlicherweise übrig gelassen haben?«
»Und wenn die Medjai davon Wind bekommen?«
»Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen, als nur mit einem Schafsfell bekleidet, lebendig so lange auf einen Stab gespießt zu werden, bis die Geier ihr Werk getan haben? Ich nicht!«
Nezem wich angeekelt zurück.
»Das erwartet jeden, der beim Grabraub erwischt wird.« Der Kahle baute sich vor ihm auf. »Es gibt folglich keine Steigerung der Strafe, egal ob Beamten- oder Pharaonengrab, es gibt nur bessere und größere Beute. Aber beruhige dich, mein Freund! Uns beide wird keiner jemals fassen. Du hast dich rechtzeitig zurückgezogen, und ich bleibe weiterhin im Hintergrund, um dafür zu sorgen, dass die Schätze auch die richtigen Liebhaber finden.« Er kratzte sich am Ohr. »Für Khay allerdings sieht es nicht ganz so günstig aus, fürchte ich. Was soll ich ihm sagen?«
»Die vielen Mumien auf einmal haben ihn offenbar nervös gemacht. Und einen größeren Anteil an der Beute fordert er auch. Was soll ich ihm sagen?«
»Na, was schon? Dass er alles rausholen soll und zwar so schnell wie möglich. Über die Mumien soll er sich keine Gedanken machen. Und einen größeren Anteil will er?« Iucha zog eine Grimasse. »Warum nicht? Soll er ihn doch haben! Er wird ohnehin nicht mehr viel Zeit haben, sich daran zu erfreuen.«
»Du willst ihn endlich ans Messer liefern?«
»Du etwa nicht?« Jetzt glich Iuchas Lachen wieder dem gewohnten Meckern. »Aber lass mich nur machen!«
»Du wartest für meinen Geschmack schon viel zu lang e .«
»Wer eine Schlange fangen will, muss sie erst reizen. Und vergiss nicht: Nichts macht so blind wie Hass, denn er trübt den Blick. Zorn aber schärft ihn. Wir werden dafür sorgen, dass Khay gefasst wird, verlass dich darauf, aber erst, nachdem er uns alles brav abgeliefert hat. Sag selber, Nezem! Wer würde schon freiwillig ausgerechnet die Kuh schlachten, die die fetteste Milch gibt?«
oooo
»Ich habe heute leider nicht viel Zeit, Isis.« Anus Blick wanderte immer wieder nervös zum Himmel, um den Sonnenstand zu beobachten. »Nesptah erwartet mich an der Fähre.«
»Der Sohn Montemhets?«, fragte sie beeindruckt.
Anu nickte. »Er sagt, ich sei der Schreiber, mit dem er am liebsten zusammenarbeitet. Weil ich schnell bin und keine unnötigen Fragen stelle.« Er vermied, sie direkt anzusehen.
»Er kann ja nicht wissen, warum ich nicht gern rede. Weil ich insgeheim noch immer Angst habe, ich könnte doch wieder zu stottern anfangen.«
»Meinst du, es würde ihm etwas ausmachen?«
Anus Augen wurden dunkel. »Ihm vielleicht nicht. Aber mir. Ich mag es, dass er mich schätzt. In seiner Gegenwart fühle ich mich so erwachsen.«
»Du bist erwachsen, Anu«, sagte sie leise. »Wir sind inzwischen alle ziemlich erwachsen.«
»Aber nicht erwachsen genug, um zu heiraten?« Jetzt sah er sie voll an. »Wie lange willst du mich noch warten lassen, Isis?«
»Ich wusste, du würdest wieder darauf zurückkommen.« Isis erhob sich von dem morschen Baumstamm, Anu aber griff nach ihrer Hand und zog sie wieder neben
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