Isis
ihn zu dem kleinen Tisch, der unter dem Fenster stand. »Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee, einige Zeit in ihrem Haus zu leben«, sagte sie um einiges zuversichtlicher, als ihr tatsächlich zumute war. Denn die Vorstellung, Basa Tag für Tag auf engem Raum zu begegnen, war auch für sie wenig erfreulich. »Zumindest so lange, bis du aus den südlichen Steinbrüchen zurück bist. Und wenn du mit den neuen Obelisken ankommst, sind wir alle wieder zusammen.«
Sie hatte ihn nur überredet, nicht überzeugt, das spürte Selene, als sie wenig später voneinander Abschied nahmen.
Nezem bestand darauf, sie mit dem Kind persönlich zu Basa und Sarit zu bringen. In der Dämmerung hielt er sie vor dem Haus umschlungen, als wolle er sie niemals wieder loslassen.
Neben ihnen schlief Isis friedlich in ihrem Weidenkorb.
Selene lauschte dem Geräusch seines Herzens, das gegen ihre Brust schlug.
»Wenn er wagt, dich auch nur einmal anzurühren, bringe ich ihn um«, stieß er hervor. »Das kannst du ihm ausrichten - und wenn er hundertmal der Erste Baumeister Montemhets ist und ich nur ein einfacher Steineklopfer.«
»Pass lieber auf dich auf!« Selene bemühte sich, heiter und guten Mutes zu klingen. »Die Steinbrüche von Sunu sind gefährlich. Ich bestehe darauf, dass du deine Beine nicht verlierst. Und erst recht nicht deine wundervollen Hände.«
Plötzlich hätte sie alles dafür gegeben, bei ihm bleiben zu können. Aber sie mussten vernünftig sein. Nezem hatte sich den Anweisungen der »Gottesgemahlin« zu fügen, die ihn mit diesem Auftrag vor vielen anderen ausgezeichnet hatte.
Und ihre, Selenes’ Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der kleine Anu am Leben blieb.
»Du wirst sehen, die Zeit vergeht so schnell wie ein Traum!«, versuchte sie ihm, vor allem jedoch sich selber Zuversicht einzuflößen. »Wir werden kaum merken, dass wir getrennt waren.«
»Ich möchte dir noch so vieles sagen.« Nezem ließ sie nicht hineingehen. »Aber meine Zunge ist so ungelenk. Mein Meißel dagegen findet seine Sprache immer wie von selbst. Ich kann mich wohl nur in Stein flüssig ausdrücken.«
»Aber ich höre dich ja sprechen, mein Liebster, ich höre dich sogar ganz deutlich, auch wenn du nicht bei mir bist.«
Seine Abschiedsworte klangen in ihren Ohren, als sie Anu zum erstenmal an die Brust legte und er sofort zu saugen begann. Das Kind schluckte zu viel Luft, so gierig trank es, und protestierte, als sie ihm die Milchquelle kurzfristig entzog, bevor sie ihn weiter stillte. Außerordentlich missfiel ihr jedoch, dass Basa zwischendrin hereinkam und eine Weile schweigend auf ihre entblößte Brust starrte, als sei dies sein gutes Recht.
Als der Säugling schließlich schlief, bürstete sie ihr Haar und wusch sich die Hände. Dann ging sie zu Basa, um ihm ohne Umschweife ihre Bedingungen mitzuteilen.
»Ich bin nicht als bezahlte Amme hier«, sagte sie. »Was ich tue, geschieht freiwillig, um das Kind zu retten. Und weil ich seine Mutter liebe. Außerdem wirst du mein Zimmer nicht mehr betreten. Du hörst auch damit auf, mich weiterhin wie ein Stück Vieh zu taxieren.«
»Sonst noch etwas?«
»Allerdings! Ich verlange, dass du Sarit anständig behandelst. Siehst du nicht, wie schlecht es ihr geht?«
Er blieb stumm, aber sie sah, wie seine Kiefer mahlten.
»Viele Frauen kommen nach einer Geburt nur langsam wieder zu Kräften. Dazu brauchen sie Ruhe, Fürsorge und Pflege, aber bestimmt keinen Mann, der ihnen das Leben noch schwerer macht. Wenn ich also sehe, dass du grob zu Sarit bist, ziehe ich sofort meine Konsequenzen. Sie hat so viel ertragen müssen. Empfindest du denn gar kein Mitgefühl mit ihr?«
»Spielst du auf das Verschwinden jenes ... Kindes an? Was hast du eigentlich damit zu tun?« Seine aggressiven Fragen trafen sie wie ein Stoß.
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte sie vorsichtig.
»Mach mir nichts vor! Ich weiß längst, dass du mit dahinter steckst. Ihr Weiber habt die günstige Gelegenheit benutzt, es aus dem Haus zu schaffen. Dabei kam euch der Überfall der Asssyrer mehr als gelegen. Wo ist es jetzt, frage ich dich? Und wo vor allem ist diese undankbare Schlampe abgeblieben, der ich es anvertraut hatte?«
Selene verzog keine Miene.
»Nicht, dass es mir fehlen würde.« Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Und von der Sorte jener Ruza gibt es in jeder billigen Schenke Dutzende. Aber eure dreiste Eigenmächtigkeit stößt mir auf, gelinde ausgedrückt. In diesem Haus
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