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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schwierigsten Lektionen, die wir lernen müssen«, sagte Selene vorsichtig. »Geht es dir heute ein bisschen besser, Sarit? Ich wünsche mir es so sehr für dich und die Kinder.«
    »Trauer macht dich nach und nach zur Aussätzigen. Alle fangen an dich zu meiden, aus Angst, etwas von dem Schwarzen in dir könne auf sie abfärben. Und dann wird die Einsamkeit die Gefährtin der Trauer.«
    »Ich gehöre nicht zu all denen. Ich hoffe, du weißt das.«
    »Ja, ich weiß. Und ich weiß auch, was ich dir schuldig bin. Ich wünschte nur, ich könnte irgendwann ...« Sarit ließ den Satz unvollendet, wie so oft in letzter Zeit. Ihre Hände, die erschreckend dünn geworden waren, nahmen den unterbrochenen Tanz wieder auf. »Meinst du, es geht dem Kleinen gut?«, fragte sie plötzlich. »Oder ist es gar nicht mehr am Leben?« Ihr Blick wurde starr. »Eines weiß ich jetzt: Ich habe es nicht genug geliebt. Aber es war doch mein Kind, Fleisch von meinem Fleisch! Auch, wenn es anders war. Gerade deswegen hätte es meine Liebe umso mehr gebraucht.«
    »Du hast es geliebt und liebst es noch«, widersprach Selene sanft. »Ich weiß, wie sehr!«
    »Aber ich hätte es niemals weggeben dürfen. Wieso hast du mich nicht daran gehindert?«
    »Weil es das Beste für das Kleine ist.« Sarit sah sie mit einem rätselhaften Ausdruck an. Da war es wieder, jenes unfassbare Gefühl, das Selene in den letzten Monden immer öfter überkam. Beinahe, als ob die Freundin ihre Anwesenheit im Haus kaum ertragen könne. Manchmal glaubte sie sogar, etwas wie Ablehnung oder sogar Hass zu spüren. Aber vielleicht bildete sie sich das alles nur ein, weil die Situation für sie beide nicht gerade einfach war. »Natürlich lebt es. Und natürlich geht es ihm gut!«, sagte Selene voller Überzeugung.
    »Trotzdem darfst du nicht vergessen, dass du noch zwei andere Kinder hast, die ihre Mutter brauchen. Schon ihretwegen musst du auf dich aufpassen. Versprichst du mir das?«
    »Ich will es versuchen.« Sarit starrte angestrengt zur Wand.
    Sie wurden unterbrochen von lautem Kindergeschrei. Isis wehrte sich mit Händen und Füßen gegen ihren Vater, der sie beim Spielen mit Khay unterbrochen hatte. Auch Khay begann loszuplärren, als habe er plötzlich begriffen, dass der Abschied drohte, und als zu allem Überfluss als Dritter Anu heulend einfiel, wurde Selene energisch.
    »Jetzt aber sofort Ruhe hier!«
    Wenn sie diesen Ton anschlug, wussten die Kinder, dass sie es ernst meinte. Isis klammerte sich an ihre Beine und Khay hielt erschrocken mitten im Weinen inne. Nur Anu wimmerte noch immer vor sich hin. Sie koste und beruhigte die beiden Buben, die ihr fast wie eigene Söhne ans Herz gewachsen waren, bis Nezem langsam ungeduldig wurde.
    Schließlich schickte sie ihn mit Isis voraus, weil sie Neshet unbedingt noch Lebewohl sagen wollte. Aber sie konnte die alte Dienerin nirgendwo im Haus finden, nicht einmal an ihrem gewohnten Platz vor dem Backofen. Stattdessen traf sie im schattigen Innenhof auf Basa.
    »Du gehst?«, sagte er knapp.
    »Nezem ist zurück. Ich muss mich beeilen.«
    »Dein Steinmetz? Das freut mich für dich.« Seine Augen, die sie nicht mehr losließen, sagten etwas ganz anderes. Selene nickte, plötzlich beklommen.
    Sein Gesicht erschien ihr weicher als sonst, als habe er versäumt, seine übliche Maske anzulegen. Zu ihrer Überraschung griff er nach ihrem Handgelenk und hielt es mit einer Zartheit umfangen, die sie ihm niemals zugetraut hätte. Basa hob ihre Hand an seine Wange und küsste die Innenfläche, die feucht von Schweiß war. Seine Lippen blieben dort, und Selene, viel zu bang, um ihre Hand wegzuziehen, hielt den Atem an und hörte ihr Herz schneller schlagen. Schließlich löste er sich von ihr, wandte sich um und ließ sie stehen.
    Tief in Gedanken lief sie nach Hause.
    Dort wartete Nezem bereits auf sie, der ganz gegen seine Gewohnheit so viel zu erzählen hatte, dass ihm ihre Einsilbigkeit zunächst gar nicht aufiiel. Von gigantischen Rohblöcken aus Rosengranit berichtete er, die zunächst von ihrer Verwitterungskruste befreit werden mussten. Detailverliebt beschrieb er Dolorit- und Granithämmer, die dazu notwendig waren, sowie die aufwändige Weiterbearbeitung der Blöcke an Ort und Stelle, der schließlich der kaum weniger schwierige Abtransport folgte.
    Selene packte schweigend ihre Sachen aus, während er weiter redete.
    »Viel besser geeignet als Granitmeißel sind natürlich solche aus Eisen«, sagte er und leerte den

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