Isis
Weinkrug zum zweiten Mal. »Der erfahrene Steinmetz erkennt bereits am Klang der Schläge, wann der Block zerspringt. Aber dabei musst du verflixt aufpassen. Wenn du die Meißel nämlich nicht regelmäßig gegen frisch gehärtete austauschst, zerbrechen sie dir unter den Händen wie ungewässerter Ton. Und Rosengranit gehört nun mal zu den Steinen, die es dir am schwersten machen!«
Er griff nach ihrem Arm, als sie mit ein paar Wäschestücken an ihm vorbei wollte, und zog sie auf seinen Schoß.
»Du hörst mir ja gar nicht richtig zu! Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Doch nicht etwa schon wieder bei deiner über alles geliebten Sarit?«
»Nein«, sagte Selene wahrheitsgemäß und schämte sich, weil Basas Kuss noch immer in ihrer Handfläche brannte.
»Natürlich höre ich dir zu!«
»Vielleicht interessiert dich das hier ja mehr.« Aus einem Lederbeutel holte Nezem eine kleine Figur hervor, aus grauem Stein, der im Sonnenlicht leicht grünlich schimmerte.
»Eigentlich sollte sie ja aus Rosengranit sein wie die großen Obelisken, um deinem Hautton zu gleichen. Aber an seiner Härte habe ich mir fast die Zähne ausgebissen. Zudem hätte sicherlich auch die Priesterschaft etwas dagegen gehabt, denn Rosengranit ist nun mal den Göttern und dem Pharao vorbehalten. Gefällt sie dir trotzdem?«
Es war eine schlanke Frauengestalt in Schritthaltung, die die Arme eng am Körper hielt. Ihr plissiertes Kleid war so fein herausgearbeitet, dass man jede einzelne Falte erkennen konnte. Auf dem Kopf trug sie die Mondhörner, zwischen denen die Sonnenscheibe ruhte.
»Die große Göttin Isis«, sagte Selene beeindruckt. »Du bist ein echter Künstler, Nezem. Kein Steinmetz, sondern ein Bildhauer!«
»Das Gesicht«, drängte er. »Schau ganz genau hin! Fällt dir nichts auf?«
»Kann es sein, dass sie mir ein bisschen ähnelt?«, fragte Selene schließlich. »Aber sie ist natürlich viel schöner und anmutiger als ich. Unsere kleine Isis könnte eines Tages so aussehen.«
»>Ein bisschen ähnelt< — es ist dein Porträt! Und wenn unsere Tochter dir einmal gleichen sollte, können wir allen Göttern nur danken. Es ist übrigens das Letzte einer schier endlosen Reihe. Weißt du, wie oft ich neu begonnen habe, weil das Gesicht einfach nicht so werden wollte, wie dein Bild in meinem Herzen?«
Er suchte ihre Augen, die ihn an die Olivenhaine ihrer Heimat erinnerten, und was er darin fand, half ihm, sich ihr ganz zu öffnen.
»Kein Stein macht es dir leicht, sogar wenn du die Figur schon erahnst, die in ihm verborgen ist«, fuhr er fort. »Alles musst du dir erschwitzen, erkämpfen, manchmal sogar erweinen. Nur so kannst du Erfolg haben — vielleicht. Wenn du Geduld hast. Und die Götter dir gewogen sind.«
»Und wenn du der Beste bist! Und das bist du, Nezem.«
»Was ist schon der Mensch?«, widersprach er. »Es liegt einzig und allein am Stein, ob er alles zulässt oder alles untersagt. Weißt du, dass er mit dir spricht, Selene? Aber nur, wenn du gelernt hast, ihm zuzuhören. Dann beginnt er zunächst leise, steigert sich langsam und wird schließlich immer lauter. Das kann sogar bis zum Brüllen gehen, bis du ihn ganz verstanden hast. Dann erst wird er wieder leiser und verstummt schließlich ganz.«
Vor Erregung hatte er zu schwitzen begonnen.
»Ich habe noch mehr von diesem wunderbaren Material mitgebracht. Für viele, viele neue Statuen. Fass mal an! Wenn du den Stein genügend lange polierst, fühlt er sich beinahe an wie schwerer, kostbarer Stoff.«
»Ich mag es, wenn du so über deine Arbeit redest«, sagte Selene. »Dann ist es, als würde ich den Stein auch hören.«
Fast andächtig fuhr sie mit dem Zeigefinger die Linien nach.
»Diese Isis hier wird immer sprechen, Nezem. Zu jedem, der sie ansieht oder berührt. Ich verspreche, sie in größten Ehren zu halten«, sagte sie lächelnd, »auch wenn ich mich erst daran gewöhnen muss, dass die Göttin ausgerechnet mein Gesicht haben soll.«
Er gab einen Laut von sich.
»Willst du noch mehr Wein?«, fragte sie. »Oder soll ich dir lieber etwas zu essen machen?«
»Dich will ich«, sagte Nezem. »Nichts anderes.«
Als er sie fast unbeholfen zu streicheln begann, musste sie auf einmal weinen. Ihre Tränen flossen heftiger, als er ihre Lippen öffnete und die Küsse immer leidenschaftlicher wurden. Er legte ihr eine Hand auf die Hüften, sie aber nahm sie und führte sie zu ihren Brüsten. Schließlich empfing sie ihn. Nezem war, als habe ihn eine
Weitere Kostenlose Bücher