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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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riesige Welle hochgehoben. Er begann zu zittern, konnte sich nicht länger zurückhalten.
    »Verzeih!«, sagte er, als sie später in seinen Armen ruhte.
    »Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dich die ganze Nacht lang zu lieben. Nie wieder darfst du mich allein lassen, nie wieder!«
    Sie drehte den Kopf, bis ihr Gesicht seinem ganz nah war, und küsste seine Wange. Er packte sie fester, aus Angst, sie könne ihm erneut entgleiten, und hielt sie umschlungen.
    Selene ließ es geschehen, weil sie seine innere Not spürte, aber er fühlte dennoch, dass sie ihm im Augenblick nur körperlich nah war.
    »Wo bist du, Selene? Doch nicht schon wieder — dort?«
    »Ich kann nicht anders, Liebster«, sagte sie. »In jenem Haus wird bald schon Schreckliches passieren. Sarit und Basa verletzen sich gegenseitig und gehen langsam daran zugrunde.
    Was soll ich nur tun? Ich muss doch irgendetwas tun!«
    »Es ist ihr Schicksal, nicht unseres«, sagte er heftig. »Wieso lässt du zu, dass diese Menschen sich in unser Leben einmischen? Sogar unsere Kleine ist schon ganz durcheinander.
    Ich musste Isis vorhin lange herumtragen, bis sie endlich einschlief.«
    »Weil es keine wirkliche Trennung gibt, Nezem, das ist nichts als Illusion. Alles ist mit allem verbunden«, sagte sie sanft. »Und Kinder spüren das manchmal besser als wir Erwachsene. Aber lass uns jetzt schlafen! Und lieber morgen weiter reden.«
    Er strich über ihr Haar, während ihre Beine vor dem Einschlafen zu zucken begannen, wie immer, wenn sie besonders angespannt war. Dann wurde ihr Atem gleichmäßig. Er aber lag lange wach, Selenes Worte hatten ihn mitten ins Herz getroffen. Das Band der Liebe, das er für unzerstörbar gehalten hatte, kam ihm auf einmal verletzlich vor. Was, wenn das Schicksal kein Einsehen hatte und ihn und seine Liebste wieder auseinander riss?
    Nezem begann sich vor der Zukunft zu fürchten. Denn er konnte sich ein Leben ohne Selene nicht mehr vorstellen.
     
    oooo
     
    Jeden Vollmond war Kamelmarkt in Sunu, ein Spektakel, das nicht nur Händler und Käufer anzog, sondern auch jede Menge Neugierige. Seit angenehm temperierte Wintertage die sommerliche Schwüle abgelöst hatten, gehörten auch Ruza und Meret regelmäßig zu diesen Zaungästen. Ein paar Stunden, die nur ihnen gehörten, denn an den anderen Tagen nahm Ruza die Arbeit für Pacher sehr in Anspruch. Irgendwann im Herbst war plötzlich die alte Dienerin weggeblieben. Dass seine Schwester deren Pflichten ohne großes Aufheben übernahm, schien für ihn selbstverständlich. Jedenfalls wurde die Einstellung einer neuen Magd nie zwischen ihnen erörtert. Außerdem erwartete er von Ruza, dass sie Pflanzen auslas und sie zu Zöpfen oder Kränzen flocht, die er später am Markt anbieten konnte.
    Seltsamerweise gefiel es Ruza, für das Haus zu sorgen, und auch die Beschäftigung mit Kamille, Minze und Flachs machte ihr Spaß. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie keine Dienerin, sondern selber eine Art Herrin. Allerdings kam es zwischen Pacher und ihr zu keiner wirklichen Begegnung. Er schien sich wenig aus Gesprächen zu machen und ging ihr häufig bewusst aus dem Weg. Ruza war sich nicht einmal sicher, ob ihm überhaupt auffiel, wie sauber die Zimmer jetzt waren und wie gut die Mahlzeiten schmeckten, so sehr lebte er in seiner eigenen Welt, zu der ihr der Zugang verwehrt blieb.
    Allerdings interessierte er sich eingehend für die Eroberung Wasets durch die Assyrer, die sie ihm schon einige Male in allen Einzelheiten hatte schildern müssen. Besonders schien ihn zu beschäftigen, was geschah, wenn die Eroberer Kernet wieder verließen. Zu solchen Spekulationen zog er sich dann erneut ganz in sich zurück. Doch gab es auch Momente, in denen sein Blick so eindringlich auf ihr und vor allem Meret ruhte, dass die alte Unruhe in Ruza erneut aufstieg.
    »Sie sieht dir so gar nicht ähnlich«, sagte Pacher eines Tages.
    »Und auch keinem aus unserer Familie. Schau nur, wie zierlich ihre Hände sind! Wir dagegen sind alle immer nur einfache Bauern und Händler gewesen, keine feinen Stadtmenschen.« Leicht anzüglich schielte er auf ihre plumpen Knöchel, für die sie sich ihr Leben lang geschämt hatte. »Und wem sie wohl diesen seltsamen Fleck neben dem Auge zu verdanken hat?«
    »Meret gerät ganz nach ihrem Vater«, erwiderte sie schnell.
    »Übrigens eine Sippe von ausgesprochen schönen, feingliedrigen Männern.« Es war kindisch, aber es machte ihr trotzdem Spaß, ihm diesen Hieb zu

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