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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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versetzen.
    »Viele Brüder?« Nach dem Vermögen, das ihn bestimmt mindestens ebenso interessierte, fragte er zu ihrer Verwunderung nicht.
    »Drei«, log sie. »Aber die anderen beiden waren wesentlich älter als er. Einer starb schon vor Jahren an Lungenentzündung. Und der andere ist irgendwo im Delta verschollen.«
    »Und dein Mann? Hat er gar keine Sehnsucht nach dir?«
    Pacher versuchte, Meret ungeschickt an sich zu ziehen, die gerade vorbeilief. Sie aber wehrte sich gegen seine Umarmung und begann zu weinen, bis er sie entnervt wieder los ließ. Schnell brachte sie sich auf Ruzas Schoß in Sicherheit.
    »Und vor allem nach seiner hübschen kleinen Tochter?«
    »Mein Mann ist tot«, sagte sie. »Von Assyrern erschlagen. Meret hat keinen Vater mehr. Aber das weißt du doch längst. Wie oft soll ich es dir eigentlich noch erzählen?« Pachers Blick blieb skeptisch und Ruza hatte es plötzlich eilig, die Bohnensuppe für das Abendessen aufzusetzen.
    Es traf sich gut, dass er die nächsten Tage stromabwärts reisen musste, um seine Safranvorräte aufzufüllen. Ruza holte den Goldschatz aus dem neusten Versteck, dann ging sie mit Meret zum Hafen. Für ein paar Deben Kupfer war ein älterer Mann sofort bereit, sie mit seinem Segelboot nach Philae zu bringen.
    Zuerst genoss Ruza die Fahrt zur Tempelinsel. Das Wasser unter dem Bug war grünlich und klar; Löffelreiher landeten elegant auf einer sandigen Landzunge, die weit hinein in den Fluss reichte. Die Erinnerung an Gott Sobeks gefährliche Kreaturen, die sie in jener Nacht auf dem Nil in Todesangst versetzt hatten, war an diesem sonnigen Tag so unwirklich wie ein ferner Traum. Als sie sich jedoch ihrem Ziel näherten, wurde sie immer aufgeregter.
    Zum Erstaunen des Fährmannes blieb Ruza im Boot sitzen, nachdem er angelegt hatte.
    »Was ist los?«, fragte er verwundert. »Eben wolltest du noch so dringend hierher. Was hast du denn auf einmal?«
    Kein Mensch war auf der schnurgeraden Prozessionsstraße zu sehen, die mit hellem Stein gepflastert war, und trotzdem fühlte Ruza sich, als würde sie von tausend Augen streng geprüft. Nicht ein Lufthauch. Aber sie spürte dennoch die Last unsichtbarer Schwingen, die nicht nur Schutz und Heil bedeuteten, sondern jeden unerwünschten Eindringling in diesen heiligen Bezirk auch ebenso gut zerschmettern konnten.
    »Bring mich sofort wieder zurück!«, sagte Ruza zum Fährmann. »Und ohne dumme Fragen bekommst du das Doppelte dafür.«
    Brummend tat er, was sie verlangt hatte.
    Unter der Mittagssonne schlief Meret bald ein, während Ruza nur mühsam ihre Ruhe wiederfand. Das Tor des IsisTempels war ihr verschlossen, das wusste sie nun. Solange die Angst vor einer Entdeckung sie lähmte, hatte sie im heiligen Bezirk der Göttin nichts verloren. Wie süß ihre heimlichen Mutterphantasien auch sein mochten — war sie denn nicht eine Hochstaplerin, die das Kind einer anderen für ihr eigenes ausgab? Wie hätte sie es wagen können, mit dieser frechen Behauptung der Mutter aller Mütter unter die Augen zu treten, wenn es ihr nicht einmal gelang, das Misstrauen des eigenen Bruders auszuräumen?
    Seither achtete sie noch sorgfältiger darauf als bisher, dass Pacher niemals dazu kam, wenn sie das Kind wickelte oder badete. Sie nähte leichte Hemdchen für Meret, die sie nicht beim Laufen behinderten, und ließ ihr lockiges Haar weiter wachsen. Keinem der Nachbarn erlaubte sie, ihrem Kind zu nahe zu kommen. Vor allem aber wurde Ruza nicht müde, nach immer noch besseren Verstecken für ihren geheimen Goldschatz zu suchen, bis sie endlich ganz sicher war, den geeigneten Platz gefunden zu haben.
    Am Rand des Marktes stemmten sich weiß getünchte Ziegelhütten gegen den Wüstensand. Fladenbrote wurden hier verkauft, billiges Leinen, dünne Gerten, Lederpeitschen, Safran, Sesam und Kardamom. Dazwischen hatten Melonenverkäufer ihre Früchte für durstige Kundschaft im Sand ausgelegt.
    Man hatte ein freies Feld behelfsmäßig umzäunt, um die unberechenbaren Kamele am Weglaufen zu hindern. Manche lagen faul im Sand, andere fraßen Bocksdorn oder Klettgras oder waren umringt von ihren heftig gestikulierenden Besitzern. Meret, sonst den ganzen Tag unermüdlich auf ihren kleinen Füßen unterwegs, quengelte, bis Ruza sie sich auf die Schultern setzte. Sofort war sie friedlich und staunte, was es alles zu sehen gab: Da waren braune, sandfarbene, vereinzelt sogar cremeweiße Kamele und dazwischen ein paar fast schwarze Stuten, einige noch

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