Isis
verschaffen wusste, die er ihr versagte. Angesichts der zunehmenden Entfremdung zwischen ihnen fühlte sie sich jedoch zu schwach und mutlos, um an seine Geheimnisse zu rühren.
Welches Recht dazu hatte sie überhaupt?
Ihr war kein einziger Trumpf geblieben. Sie war krank und verbraucht, Basa verfügte über ihr Vermögen, und er hatte zudem auch die Söhne, die er von ihr verlangt hatte. Sie dagegen war nichts mehr als überflüssiger Ballast.
Sarit hatte gehofft, sich besser zu fühlen, wenn Selene fort war, weil sie dann wenigstens nicht mehr mit ansehen musste, wie Basas gierige Augen ihrer Freundin überallhin folgten, während sie unsichtbar für ihn geworden war. Nach Selenes Abschied aber wuchs der Abgrund in ihr. Niemals würde sie erleben, wie ihre Söhne zu Männern heranwuchsen, das wusste sie inzwischen. Sie hatte dieses Anrecht verwirkt, weil sie das Kleine nicht genug geliebt hatte, die furchtbarste Sünde einer Mutter. Jetzt bestraften die Götter sie dafür. Tag für Tag. Nacht für Nacht.
Zu dieser Strafe gehörte, dass sie die Nähe ihrer anderen Kinder nicht mehr ertrug. Anu anzunehmen, war ihr von Anfang an schwer gefallen. Als Selene ihn dann auf Basas Geheiß stillte, wurde es schier unmöglich. Selenes Geruch haftete an ihm wie süßliches Öl, das Sarit zum Würgen brachte. Obwohl sie wusste, dass die Brust der Freundin die Rettung des Sohnes bedeutete, hasste sie beide dafür. Selbst jetzt, nachdem Selene fort war, brachte sie es nicht über sich, Anu hochzunehmen, und sie sah angestrengt weg, wenn er seine Ärmchen nach ihr ausstreckte.
Schlimmer noch erging es ihr mit Khay, der sich sehr wohl daran erinnerte, wie sie ihn früher gestreichelt und geküsst hatte, und nicht verstehen wollte, weshalb es jetzt anders war. Er kam zu ihr gerannt wie immer und reagierte auf ihre Zurückweisung zunächst verblüfft. Die nächsten Male, als sie ihn einfach nicht beachtete, weinte er bitterlich und versteckte sich wie ein geprügelter Welpe unter dem Tisch.
Inzwischen jedoch verlangte er mit fast aggressiver Beharrlichkeit nach ihr und begann sogar mit seinen kleinen Fäusten auf sie einzuschlagen, wenn sie sich ihm wieder entzog.
»Hau ab!« Sarit erschrak über den hässlichen Klang ihrer eigenen Worte, aber es war bereits zu spät. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten, und wie ein Sturzbach flossen sie aus ihrem Mund. »Fängst du jetzt auch schon so an wie dein Vater? Lass mich endlich in Ruhe, du kleines Scheusal!
Keinen von euch will ich mehr sehen, verstehst du? Ich hasse euch alle!«
Das verzweifelte Weinen eines verlassenen Kindes, in das Khay daraufhin ausbrach, war mehr, als sie ertragen konnte.
Dabei würden sie ohnehin schon bald wieder die unheimlichen Stimmen überfallen, die sie schon seit vielen Monden nicht mehr in Ruhe ließen. Es begann als Flüstern, Klagen, die ungehindert gleichzeitig in Herz, Kopf und Bauch zu dringen schienen, bis sie immer lauter wurden und schließlich die ganze Welt mit ihrem entsetzlichen Gebrüll erfüllten.
Sarit ließ sich aufs Bett fallen und zog die Decke eng wie eine Schutzhaut um sich. Eines Tages würde sie aufhören zu leiden.
Aber dazu musste sie erst aufhören zu atmen.
oooo
Montemhet legte den Namen Mantipeanche, den die Assyrer ihm verliehen hatten, mit dem Tag ihres Abmarsches ab und verwendete ihn kein einziges Mal mehr. Nun trugen alle seine Erlässe wieder die blaue Lotosblume, seit Generationen das Wappen seiner Familie. Im gleichen Zug führte er die alte Regelung wieder ein, dass auf jeweils acht Arbeitstage zwei Feiertage folgten. Das Volk von Waset nahm dies dankbar an, ebenso die zahlreichen Götterfeste, die ab sofort wieder eingesetzt und so zahlreich und aufwändig wie immer begangen wurden.
Bald schon waren überall die groß angelegten Bau- und Renovierungsarbeiten des Stadtfürsten zu besichtigen, die die Wunden der Stadt schließen sollten. Aber Montemhet gab sich damit noch nicht zufrieden. Er ließ einige Kapellen im Tempelbezirk erneuern, die lange vernachlässigt gewesen waren, und zudem einen heiligen See für den Tempel des Month anlegen. Außerdem erhöhte er die Opferrationen und sorgte dafür, dass alle geraubten Opfertische und Götterstatuen durch nicht minder prachtvolle ersetzt wurden.
Die Priester verfolgten seine Aktivitäten voller Argwohn. Viele von ihnen hatten damit gerechnet, dass Montemhet unter den Assyrern seine Macht verlieren würde, und auf ein Erstarken des Einflusses der
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