Isis
nie«, sagte Anu viel zu schnell.
»Und Khay?«
»D-d-den musst du schon selber fragen.« Anu sprach auf einmal viel leiser. »Oder du lässt es bleiben. L-l-lass es vielleicht lieber bleiben, Isis!«
Es tat ihr fast körperlich weh, wenn er mit einem Wort rang, das in seiner Kehle feststeckte. In Gedanken redete sie ihm dann immer zu, ganz langsam zu machen, aber sie wusste, sobald sie dies aussprechen würde, wäre alles nur noch schlimmer. Dabei war er der beste Schüler im Haus des Lebens, der nie Schelte oder gar Schläge bekam, weil bei ihm jeder Strich sofort saß.
Ein Sperber flog knapp über ihren Köpfen zu seinem Weibchen. Beide schauten dem Vogel nach, erleichtert über die willkommene Ablenkung.
»Freust du dich auf die Ama?« Isis gab sich Mühe, ein unverfänglicheres Thema anzuschneiden.
Khay schien die beiden Jüngeren mittlerweile ganz vergessen zu haben. Er stapfte im Wasser herum, darin vertieft, eine provisorische Reuse zu bauen, und fluchte, als die scharfen Stängel des Röhrichts seine Finger zerschnitten. Trotzdem ließ er nicht davon ab. Fischen und Jagen machten ihm einfach zu großen Spaß. Wovon er träumte, war ein anständiges, solides Wurfholz, mit dem er allein auf Vogeljagd gehen konnte, aber bislang war es ein Traum geblieben.
»Ich weiß nicht«, sagte Anu. »Wenn sie so ähnlich ist wie deine Mama, dann vielleicht schon.«
»Meine Mama war neulich sehr krank«, sagte Isis. »Sie hatte ein neues Kind im Bauch, aber es wollte zu früh heraus.«
Ihre warme Hand legte sich dabei auf seinen Arm. Anu wagte kaum noch zu atmen. Wenn Isis ihn anfasste, dann fühlte er sich wohl und geborgen. Am liebsten hätte er sie ständig berührt, aber das tat ein Junge natürlich nicht. Er war erleichtert, dass Khay im Augenblick zu weit entfernt war, um Witze darüber zu reißen.
»Ein Mädchen«, fuhr Isis fort. Noch immer spürte er die Glätte ihrer Haut. »Eine kleine Schwester. Schließlich hat Osiris sie geholt. Mama weinte viel. Wir waren alle traurig, Papa auch. Ich soll aber eigentlich niemandem etwas davon verraten.« Sie presste den Finger fest auf die Lippen. »Und du wirst es auch nicht tun. Versprochen, Anu?«
»Versprochen!«
Die Sonne brannte unerträglich auf ihre nackten Rücken, aber sie hatten beide keine Lust, den kostbaren Augenblick zu zerstören.
Khay kam langsam näher. Er schwenkte ein paar bunte Entenfedern, die er im Schilf entdeckt hatte.
»Da sind jede Menge Nester«, rief er. »Aber alle leer. Kein einziges Ei mehr - schade! Sonst hätten wir sie auf den heißen Steinen braten können.«
Isis zog ihre Hand zurück. Es war klüger, sich nicht von ihm ertappen zu lassen. Khays Spott konnte so scharf treffen wie ein gut gezielter Wurf.
»Ich hätte auch gerne eine kleine Schwester«, flüsterte Anu schnell, bevor sein Bruder es hören konnte. »D-d-dann wäre ich nie mehr allein.«
Für einen Augenblick verloren ihre Augen jede Farbe, wie immer, wenn sie irritiert oder zornig war. Dann kehrte das helle Grün zurück, das anzusehen er niemals müde wurde.
»Aber du hast doch mich«, sagte sie.
Anu schenkte ihr einen dankbaren Blick.
»Was gibt es denn da herumzutuscheln?« Khays Brauen zogen sich drohend zusammen, aber Isis und Anu schauten so unschuldig drein, dass ihm schließlich nichts anderes übrig blieb, als die Angelegenheit für dieses Mal auf sich beruhen zu lassen. »Worauf wartet ihr noch?«, sagte er gereizt.
»Macht schon, nach Hause, ihr Lahmköpfe, bevor sie uns noch auf die Schliche kommen! Oder wollt ihr hier vielleicht Wurzeln schlagen?«
Montemhet hatte es sich mit seiner Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber die Aufforderung, am großen Tempelfest in Mennefer teilzunehmen, stammte von keinem anderen als Psammetich persönlich. Ein ungewöhnlicher Brief, den er ein ums andere Mal zur Hand nahm und wieder weg legte, um ihn schon kurz darauf abermals zu studieren. Kein Befehl, wie man angesichts der gespannten Lage im Land vielleicht hätte annehmen können, sondern eine klar formulierte Nachricht unter Gleichrangigen. Respektvoll, aber ohne Umschweife, direkt und dennoch vielschichtig zugleich.
Selten hatte Montemhet so feine Zeichen und eine derart kunstvoll gesetzte Schriftführung gesehen. Und doch war hinter den perfekten Linien eine Dringlichkeit zu spüren, die ihn unmittelbar ansprach. Der Fürst von Sais wollte ihn sehen. Es musste sich um eine wichtige Angelegenheit handeln, die keinen Aufschub duldete.
So nahm er am
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