Isis
Feuer. Nur Sehnen und Muskeln, daraus schien ihr ganzer Körper zu bestehen. Jeder Mann hätte sich glücklich geschätzt, sie zu besitzen.« Montemhets Gesicht verdüsterte sich. »Ich habe ihr großes Unrecht angetan, was ich tief bereue.«
»Was?« Nesptah blieb mitten auf der Straße stehen, ohne sich um die Schimpftiraden eines Mannes zu kümmern, dessen hochbeladenen Mauleselkarren er beinahe zum Umkippen gebracht hätte, weil er so scharf bremsen musste.
»Dass du mich mit ihr gezeugt hast?«
»Unsinn! Du bist für mich ein Geschenk der Götter. Nein, weil ich sie nie geliebt habe. Während ich sie umarmt habe, musste ich an eine andere denken, die für mich unerreichbar war. Ahza hat sich dadurch verletzt gefühlt. Und dann gab es ja auch noch meine eifersüchtige Frau. Bald nach deiner Geburt blieb mir nichts anderes übrig, als Ahza nach Hause zu schicken.« Er lachte bitter. »Du kannst dir vorstellen, dass Udjarenes darauf bestanden hat. Allerdings ging Ahza nicht ohne stattliches Vermögen. Worauf ich bestanden habe.«
»Hast du sie gewählt, weil sie aus dem Goldland stammte?«
Nesptah schien seine Fragen sorgfältig sortiert zu haben.
»Das hat sicherlich eine Rolle gespielt. Ich fühlte mich einsam und unverstanden, und ich glaubte, sie könne vielleicht ...« Er hielt inne. »Aber es gibt niemanden, der dich retten oder erlösen kann, mein Sohn. Es sei denn, du tust es selbst.«
»Was bedeutet eigentlich Glück für dich?«, sagte Nesptah schnell. »Und keine Angst, das ist so gut wie meine letzte Frage für heute!«
»So zu sein, wie man möchte«, erwiderte Montemhet ohne Zögern. »Mit wem man möchte und wo man möchte.«
»Es ist die >Gottesgemahlin<, nicht wahr?«, sagte Nesptah.
Sie waren am Ziel angelangt. Vor ihnen erhob sich der mehrstöckige Palast, massiver und weniger offen gebaut als der heimische in Waset. »Sie ist deine große Liebe.« Er maß seinen Vater prüfend. »Sind wir etwa auch ihretwegen nach Mennefer gereist? Ist Schepenupet der wahre Grund unserer Reise?«
Montemhet lachte. »Schepenupet ist eine bedeutende Frau«, sagte er, »der mein ganzer Respekt und meine Zuneigung gehören. Aber ich fürchte, jetzt überschätzt du sie doch ein wenig.«
oooo
Sie liebte die Mauern und Brunnen, die Tore und Türme, am meisten jedoch liebte Meret die riesigen Säulen des Tempels mit ihren bunten Kapitellen. Wenn sie lange genug nach oben schaute, erfasste sie ein wohliger Schwindel, und sie stellte sich vor, in einem Traumwald voller Edelsteine zu sein. Ein Gefühl von Kraft und Frieden überkam sie, während sie darauf wartete, dass das Rot, das Blau und das Grün durch ihren Körper flossen wie ein Strom, der sie aufnahm und weit, weit davontrug.
Deshalb erschrak sie auch nicht, wenn die Bilder kamen.
Eigentlich wunderte sie sich nicht einmal über sie, denn sie waren ihr ja von jeher vertraut, wenngleich sie früher weniger an Schärfe besessen hatten und weicher gewesen waren, undeutlicher, wie in Nebel getaucht. Manchmal begann es als leiser Wind, der ein tiefes Wasser kräuselte, dann wieder konnte es wie das Entfachen eines Feuers sein, so stark und lodernd, dass sie doch Angst bekam und weinen musste.
Sie verstand nicht, was sie sah, und die Menschen und Orte, die sich ihr darboten, hatte sie niemals zuvor gesehen. Aber sie verstand doch genug, um zu begreifen, dass sie existierten, irgendwo fern von ihr, und untrennbar mit ihr verbunden waren. Ein Bild kehrte immer wieder und schob sich vor alle anderen: ein Junge mit blitzenden Augen und geschorenem Kopf. Jedes Mal, wenn das geschah, wagte sie kaum noch zu atmen, aus Angst, das Bild zu schnell zu vertreiben. Und verblasste es, erfasste sie eine unbestimmte Sehnsucht, die sie ruhelos und traurig machte.
Sie behielt für sich, was mit ihr geschah. Nicht einmal Ruza verriet sie etwas davon. Meret war ohnehin eine Einzelgängerin, die nur selten mit anderen Kindern spielte und sich gern mit sich selbst beschäftigte. Während die anderen ihren kindlichen Spielen nachgingen, hielt sie sich am liebsten in ihrem Traumwald auf. Sie konnte noch nicht viel lesen, eine der Säulen aber trug eine Inschrift, die sie inzwischen auswendig wusste, auch wenn sie längst nicht die Bedeutung aller Worte verstand:
Große Göttin, Mutter aller Mütter, Isis,
Quell des Lebens, die Du über Philae herrschst
und über den verbotenen Bezirk. Königin der Insel,
trauernde Göttin, die Du den Körper Deines
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